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Neues Recht zur Grundstücksentwässerung in NRW:

18.07.2014

Lünen sieht für sich eine Riesenchance für die Umsetzung

Nach der Novelle des nordrhein-westfälischen Landeswassergesetzes zur Überwachung von Grundstücksentwässerungen sind die Reaktionen der Kommunen landesweit sehr unterschiedlich. Beim Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung Lünen (SAL) denkt man gar nicht daran, die intakte Grundstücksentwässerung als Thema von der Agenda zu streichen, wie es derzeit vielerorts geschieht. Im Gegenteil nutzt man das Potential, das die novellierte Rechtslage bietet, zu einem Update des Lüner Modells, das die Prüfung der Anschlusskanäle nun mit der Inspektion der öffentlichen Kanalisation verbindet. Kombiniert mit aktuellen technische Innovationen und gemanagt durch die Grundstücksentwässerungs-Datenbank GEIS und die GIS-Software „Kanal++“ , eröffnet die neue Vorgehensweise ein erhebliches Einsparpotential für alle Beteiligten, und stößt sogar bei der landespolitischen Prüf-Opposition auf Anerkennung.

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Die „sehende Nordseedüse“ spielt eine strategische Rolle im Lünener Modell. Sie ermöglicht es, das gesamte System samt Anschlusskanälen gründlich zu reinigen, bevor anschließend die Inspektion eines ganzen Straßenzuges ebenfalls in einem Durchgang erfolgt.

Die aktuelle Rechtslage in NRW in Sachen Grundstücksentwässerung stellt sich nach der letzten Novelle des Landeswassergesetzes bzw. der SüwVOAbw so dar: In Wasserschutzgebieten liegende Anlagen zur Ableitung von häuslichem Abwasser, die vor 1965 gebaut wurden, sind bis zum 31.12.2015 zu prüfen und Anlagen zur Ableitung von gewerblichem Abwasser, die vor 1990 gebaut wurden, sind ebenfalls bis zum 31.12.2015 zu prüfen. Alle anderen Leitungen sind bis zum 31.12.2020 zu prüfen. Außerhalb von Wasserschutzgebieten unterliegen die Anschlusskanäle und Grundstücksentwässerungsleitungen einer landesrechtlichen Prüffrist zur Funktionsprüfung nicht mehr. Ausgenommen sind Gewerbebetriebe die der Abwasserverordnung unterliegen, diese habe ihre Anlagen bis 2020 zu prüfen. Das Land überlässt es den Gemeinden, durch Satzung Fristen zu erlassen, falls sie es für erforderlich hält. Dass die privaten Abwasseranlagen nach dem -rechtssystematisch vorrangigen- WHG des Bundes auch außerhalb von Wasserschutz-Zonen weiterhin generell prüfpflichtig sind, bleibt allerdings unberührt.

Zum Vollzug sieht die Rechtslage nunmehr vor, dass die Prüfung der Anschlusskanäle und Grundstücksentwässerungsleitungen organisatorisch an die turnusmäßige Funktionsprüfung der öffentlichen Hauptkanäle angebunden werden soll bzw. kann. Der SAL hat zur Umsetzung dieser Aufgabenstellung ein praxisnahes, bürgerfreundliches Modelle entwickelt, das sich im Rahmen eines Pilotprojektes in der Waltroper Straße bewährt und dabei als hoch wirtschaftlich erwiesen hat. Der Erfolg des neuen Lünener Modells basiert auf der Kombination aktueller Reinigungs- und Inspektionstechnologie mit einem gut durchdachten Organisationskonzept auf Basis der in Lünen entwickelten Grundstücksentwässerungs-Datenbank GEIS.

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Das Kamerasystem LISY wird auf den Einsatz vorbereitet. LISY kann vom Hauptkanal aus in die Anschlüsse und von dort aus auch in die Verzweigungen der Grundstücksentwässerung abbiegen.

Grundsätzlich werden in Lünen bei bestehenden Entwässerungsanlagen zeitgleich oder in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Zustands- und Funktionsprüfung bei den öffentlichen Abwasserkanälen eine Zustands- und Funktionsprüfung der privaten Grundstücksanschlussleitungen durchgeführt. Die Prüfung der privaten Grundstücksanschlussleitungen gehört zu den ansatzfähigen Kosten der Abwassergebühren; für eine nach der Inspektion eventuell notwendige Sanierung bleibt allerdings nach wie vor der Grundstückseigentümer zuständig.

Eine technische Grundsatzentscheidung, durch die sich die Lünener Vorgehensweise von der anderen Orts deutlich unterscheidet, ist der Ansatz, die Anschlussleitungen vor der TV-Inspektion grundsätzlich zu reinigen. Statt der sonst favorisierten Kanalkameras mit Spülantrieb kam im Pilotprojekt Waltroper Straße bei der Funktionsprüfung von 1508 Metern Hauptkanal und 107 Grundstücksanschlüssen erstmals eine quasi umgekehrte Technologie zum Einsatz: Die "sehende Nordseedüse" ist eine Neuentwicklung der Fa. P & W Umwelttechnik, Hage. Das Gerät ist eine Hochdruck-Spüldüse mit Frontkamera, deren Düsengeometrie dafür sorgt, dass die Düse im Spülbetrieb bei ständigem Kontakt zur Rohrwand in Scheitel und Kämpfern des Kanals pendelt. Dabei "ertastet" die sehende Düse durch die Pendelbewegung gewissermaßen die Anschlussstutzen und kann dann durch einen kurzen Spülstoß in den Anschluss eingefahren werden. Das lässt sich mehrfach in Folge wiederholen, so dass die "sehende Nordseedüse" sich auch in komplexere Abzweig-Strukturen auf dem Grundstück tief hinein arbeiten könnte.

Für die Reihenfolge "erst spülen, dann inspizieren" sprechen nach Auffassung und Erfahrung von SAL-Geschäftsführer Dipl.-Ing. Claus Externbrink praktische und wirtschaftliche Gründe. Einerseits ist es vorteilhaft, wenn im Zuge der Gesamtinspektion von Hauptkanal und Anschlussleitungen das Gesamtsystem komplett gereinigt ist, wenn die Inspektion beginnt. Sonst, so Externbrink, "spülen wir uns aus den Anschlüssen nicht unerhebliche Mengen an Schmutz in die Hauptkanäle, was dann dort den reibungslosen Inspektionsablauf stört." Also wird in Lünen erst einmal das gesamte System eines Hauptkanals einschließlich der Anschlüsse grundgereinigt und dann in einem Durchgang untersucht. Diese Vorgehensweise, so zeigte sich in der Waltroper Straße, führt zu "wirklich dramatischen Reduzierungen" der Gesamtkosten gegenüber der klassischen Vorgehensweise, bei der eine hydraulisch angetriebene Kamera die Anschlüsse im Hineinfahren reinigt und beim Zurückziehen untersucht. Wobei laut Externbrink, ein Gutteil dieser Einsparungen sicherlich auch auf die Erfahrung und professionelle Arbeitsweise der Canal Control + Clean Umweltservice GmbH zu zurückzuführen ist. Das Dienstleistungs-Unternehmen aus Barsbüttel, das sich bei der Vergabe und in einem gründlichen Leistungsnachweis gegen die Konkurrenz durchsetzen, verfügt nicht nur in der Reinigung über die gefragte Technik und die notwendige Praxiserfahrung im Umgang damit. Auch die Vorgaben des SAL-Pflichtenheftes für die Inspektion und Dokumentation erfüllte Canal Control + Clean optimal.

Folgende Vorgaben machte die SAL für Workflow bzw. Ergebnis der Inspektion der Anschlussleitungen: Die Untersuchung soll eine automatische 3D-Einmessung der Anlage, also eine Aufnahme der Lage- und Höhenkoordinaten (XYZ-Koordinaten) beinhalten. Die Inspektion soll die Daten in einem Format bereitstellen, das eine Übernahme in die in Lünen entwickelte und eingesetzte Gundstücksentwässerungs-Datenbank GEIS und das GIS-System Kanal++ der Firma Tandler zulässt. Diese Anforderungen erfüllt Canal Control + Clean durch Einsatz eines abbiegefähigen Kamerasystems ( LISY mit Kamerakopf ORION L von IBAK, Kiel) das nicht nur über 3D-GeoSense-Bewegungssensoren zur Erfassung von Lageveränderungen in der Ebene verfügt, sondern zudem zur hydrostatischen Höheneinmessung ausgerüstet ist. Diese Technologie bestimmt die Höhenlage des Kamerakopfes durch Messung der minimalen Luftdruckveränderung, die eine automatische Konsequenz jeder Höhenveränderung ist.

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Katasterplan- und Schadensbilddaten auf einen Blick und in enger Verknüpfung: Dieses Prinzip gilt nicht nur im TV-Kontrollraum, sondern zieht sich als Grundidee durch die gesamte Management der bei der Funktionsprüfung anfallenden Daten.

In der Praxis sieht das so aus, dass die Kamera auf dem Weg ins System hinein parallel zur optischen Untersuchung ein kontinuierlich hydrostatisch generiertes Höhenprofil aufnimmt, dem auf dem Rückweg ein Gitter von XYZ-Koordinaten überlagert wird, das der Neigungs-Sensor der Kamera in punktuellen Messungen erzeugt. Sinn und Zweck der dreidimensionalen Präzision ist nicht nur die genaue Einbindung der Anschlüsse in den Datenbestand des geografischen Informationssystems Kanal ++, sondern auch und nicht zuletzt eine bis auf einen Zentimeter genaue Dokumentation der realen Höhenverhältnisse in der Abwasser-Infrastruktur. Dahinter steht die strategische Frage, ob sich durch ein umfassendes Update der Höhendaten im Netz im Fall einer Erneuerung Kosten einsparen lassen - jeder Dezimeter, um den eine Leitung flacher verlegt werden kann, spart im Bau bares Geld. Im Extremfall lassen sich sogar Abflussrichtungen im Netz neu organisieren.

Generell lässt der SAL alle Anschlussleitungen bis zur Grundstücksgrenze inspizieren. Die Befunde, die dabei erkennbar werden, geben in allen Fällen einen Anlass zum Gespräch mit dem Grundstücksbesitzer: So mancher Eigentümer hat sich durch die Bilder von "jenseits der Grenze" schon dazu bewegen lassen, die Untersuchung auch auf dem eigenen Grund und Boden fort zu setzen.

Dipl.-Ing. Matthias Kroells, Berater für die Grundstücksentwässerung beim SAL erläutert, warum: "Dass eine Leitung, die bis zur Grundstücksgrenze sichtbar baufällig ist, dahinter plötzlich schadenfrei sein soll, ist bei allem Optimismus nicht wirklich einleuchtend. Manchmal kann man über die Grenze hinaus auch ins Rohr sehen und bereits Schäden erkennen. Die Bürger sehen dann an der eigenen Leitung, dass das ganze Thema keine politische Erfindung ist, sondern eine reale technische Problematik, bei der sie persönlich Verantwortung mittragen."

Diese Anschaulichkeit trägt nicht nur zur Überzeugungsarbeit bei, sondern hat auch eine rechtliche Komponente. Nach neuer Rechtslage soll eine Funktionsprüfung außerhalb von Wasserschutzgebieten nur dann erforderlich sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Undichtheit gegeben sind. Einen solchen juristisch " begründeten Anfangsverdacht" liefern sowohl Schadensbilder im Übergangsbereich, erst recht aber die Beobachtung von Fremdwasser im Anschluss. Den Anschlusskanal unter die Lupe zu nehmen, trägt letztlich also unmittelbar zur Einbindung auch der privaten Infrastruktur in die Instandhaltung der öffentlichen Anlagen bei. Und auf die kommt es dem SAL an, wie Claus Externbrink betont: "Eine Instandhaltung der öffentlichen Netzes ohne Berücksichtigung der Anschlüsse und Grundstücksentwässerung ist sinnlos." Die Fakten geben ihm recht: Auf der Basis von bislang rund 4000 in Lünen untersuchten Anschlüssen lässt sich bilanzieren, dass einerseits rund 20% der Anschlussleitungen schadenfrei sind. Was im Umkehrschluss allerdings auch heißt, dass 80 % der Rohre defekt sind, wovon wiederum 4% schwer beschädigt und kurzfristig zu sanieren sind - eine Erkenntnis, die man nicht einfach ignorieren kann.

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Automatische Einspielung der Vermessungsdaten einer Funktionsprüfung in das GIS „Kanal++“.

Diese Daten finden Eingang in die Grundstückentwässerungs-Datenbank GEIS, die in Lünen entwickelt wurde, seit 2007 im Einsatz und seitdem zu einem kraftvollen Instrument des Infrastruktur-Managements ausgebaut worden ist. Die Software unterstützt die Arbeit in der Grundstücksentwässerung vor allem bei der Umsetzung der gesetzlichen Beratungspflicht dem Eigentümer gegenüber. So setzt das System die Untersuchungsdaten bzw. die identifizierten Schäden automatisch in Handlungsprioritäten um - bis hin zur Aufforderung zu "ordnungsbehördlicher Überwachung" besonders schwer wiegender Defekte. Hier wird dann eine zeitnahe Sanierung durch den SAL kontrolliert. Die Schnittstelle zwischen der Inspektionseinheit und GEIS funktioniert überdies extrem schnell. Heute erhobene Inspektionsdaten sind morgen einschließlich Zugriff auf die Schadenfotos- ebenso in der Datenbank wie im GIS verfügbar.

Ein GEIS-Besonderheit mit großem Nutzwert für den Eigentümer ist die automatisierte Ausgabe einer groben Sanierungs-Kostenschätzung aufgrund der im System gespeicherten Schadensinformationen. Diese Schätzung ersetzt zwar kein rechtsverbindliches Angebot, liefert aber eine wichtige Orientierung: der Eigentümer kann einschätzen kann, ob ein von ihm eingeholtes Angebot sich in einem realistischen Rahmen bewegt oder nicht. Dazu Rosi Evers vom SAL: "Das ist eine wichtige, Vertrauen aufbauende Maßnahme, die zeigt, dass wir die Bürger mit der Aufgabe einer für sie nicht wirklich durchschaubaren Investition nicht allein lassen. Dass Grundstückseigentümer von den häufig beschworenen "Kanal-Haien" über den Tisch gezogen werden, ist damit in Lünen praktisch ausgeschlossen - abgesehen davon, dass hier unseriöse Unternehmer aufgrund des rechtlichen Anforderungsprofils an die Dienstleister erst gar nicht zum Zuge kommen."

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Datenübernahme in die Lünener Grundstücksentwässerungs-Datenbank GEIS.

Fotos: SAL

Das Lünener Modell der Funktionsprüfung von privaten Abwasseranlagen überzeugt auch politische Kritiker der Prüfpflicht in privaten Anlagen: Im Frühjahr 2014 war die nordrhein-westfälische Landtagsfraktion der FDP in Lünen zu Gast und zeigte sich sichtlich beeindruckt davon, wie effektiv und bürgernah der SAL die neue Rechtslage in Sachen Grundstücksentwässerung umsetzt. Claus Externbrink: "Wir haben die Herausforderung der neuen Rechtslage angenommen und das Beste daraus gemacht. Auf der Grundlage dieser Vorgehensweise gibt es nicht die geringste Veranlassung, vom Ziel einer ganzheitlichen Instandhaltung öffentlicher und privater Abwassernetze zurück zu rudern."

  Quelle: SAL


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