von RA Michael Werner
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 06.10.2020 – XIII ZR 21/19 – folgendes entschieden:
• Die Eignung eines Bieters, insbesondere seine für die ordnungsgemäße Leistungserbringung erforderliche Leistungsfähigkeit, darf nur an Kriterien gemessen werden, die der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen genannt hat oder die sich unter Berücksichtigung von Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen sowie des vorgesehenen Ausführungszeitraums zwingend aus der Sache ergeben.
• Wegen Nichterfüllung von Anforderungen an die Personalausstattung, die in den Vergabeunterlagen nicht ausdrücklich verlangt werden, darf ein Bieter nur dann als nicht hinreichend leistungsfähig ausgeschlossen werden, wenn aufgrund konkreter Umstände objektiv zumindest ernsthafte Zweifel daran bestehen, ob er mit dem ihm zur Verfügung stehenden Personal den Auftrag ordnungsgemäß und fristgerecht ausführen kann.
• Schließt der Auftraggeber einen Bieter zu Unrecht wegen Nichterfüllung nicht-bekanntgemachter Eignungskriterien als ungeeignet aus und erteilt den Auftrag einem anderen Bieter, steht es dem Schadensersatzanspruch des ausgeschlossenen Bieters nicht entgegen, dass der Auftraggeber die Erfüllung und den Nachweis dieser Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen hätte voraussetzen dürfen.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen national öffentlich ausgeschrieben, die in der Zeit vom April bis Dezember 2016 ausgeführt werden sollten. Ende Februar 2016 gab Bieter A das günstigste Angebot ab. Erstmals in einem Bietergespräch Anfang März 2016 teilte der AG dem A mit, dass für einzelne Arbeitsabschnitte die parallele Tätigkeit von mindestens vier Gruppen mit je zwei Monteuren erforderlich sei. A wollte das Vorhaben dagegen mit lediglich zwei eigenen Monteuren ausführen und im Übrigen, soweit erforderlich, auf Leiharbeiter zurückgreifen. Mitte März 2016 teilte der AG dem A mit, dass sein Betrieb wegen einer unzureichenden Personalausstattung für das Bauvorhaben nicht geeignet sei und deshalb vom Bieterwettbewerb ausgeschlossen werde; der Auftrag wurde einem anderen Bieter erteilt. B machte geltend, er hätte den Auftrag erhalten müssen und klagte einen auf das positive Interesse (entgangener Gewinn) gerichteten Schadensersatzanspruch ein.
Der BGH gibt – anders als das vorinstanzliche OLG – dem Bieter A Recht; der AG habe hier bestimmte Mindestanforderungen an die Personalausstattung der Bieter nicht nachträglich als Eignungskriterium einführen dürfen. Nach der Rechtsprechung des BGH müsse aus den Vergabeunterlagen für die Bieter eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssten, um den Auftrag erhalten zu können, und welche Erklärungen und Nachweise hierzu von ihnen verlangt würden. Die Vergabestellen treffe die Verpflichtung, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüche zu vermeiden. Nach § 6a Abs. 1 VOB/A seien zum Nachweis ihrer Eignung die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bieter zu prüfen. Dazu könne der Auftraggeber über die in § 6a Abs. 2 VOB/A genannten Angaben hinaus nach Abs. 3 dieser Bestimmung auch auf den konkreten Auftrag bezogene zusätzliche Angaben verlangen. Die Nachweise, die hierzu mit dem Angebot vorzulegen seien oder deren spätere Anforderung vorbehalten werde, seien nach § 6b Abs. 4 VOB/A in der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu bezeichnen und nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 Ziff. w) VOB/A bekanntzumachen. Hierdurch werde gewährleistet, dass mit der Bekanntmachung für jeden (potentiellen) Bieter feststehe, welche Anforderungen er erfüllen müsse, um den Auftrag ausführen zu können, und welche Eignungsnachweise der Auftraggeber hierzu von ihm verlange.
Da hier die Auftragsbekanntmachung keine bestimmten Anforderungen an die Personalausstattung der Bieter stellte, habe der AG mithin nicht nachträglich eine personelle Ausstattung, die die parallele Tätigkeit von vier Gruppen mit jeweils zwei Monteuren erlaubte, als Kriterium für die Eignung eines Bieters anwenden dürfen. Zutreffend habe das OLG hier angenommen, dass sich der Schadensersatzanspruch wegen einer verfahrensfehlerhaft durchgeführten Ausschreibung grundsätzlich auf den Ersatz des Vertrauensschadens beschränke und nur ausnahmsweise dann den Ersatz entgangenen Gewinns umfasse, wenn der übergangene Bieter den Auftrag bei ordnungsgemäßer Vergabe hätte erhalten müssen und ein Zuschlag tatsächlich erteilt worden sei. Die zuerst genannte Voraussetzung verlange, dass dem klagenden Bieter bei objektiv richtiger Anwendung der bekanntgemachten Vergabekriterien unter Beachtung des dem AG ggf. zukommenden Wertungsspielraums der Zuschlag hätte erteilt werden müssen. Das vorinstanzliche OLG habe aber rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob dem A bei fehlerfreier Fortsetzung des tatsächlich zu Ende geführten Vergabeverfahrens der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, sondern habe diese Prüfung vielmehr durch die Prüfung ersetzt, ob A in einem hypothetischen neuen Vergabeverfahren, in dem der AG – zulässigerweise – andere oder zusätzliche Eignungskriterien formuliert und entsprechende Nachweise verlangt hätte, in der Lage gewesen wäre, diese Eignungsvoraussetzungen zu erfüllen und nachzuweisen.
Da andere Aufhebungsgründe fernlägen, wäre eine Aufhebung der Ausschreibung hier allein wegen eines „schwerwiegenden Grunds“ in Betracht gekommen. Bei diesem in § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A geregelten Aufhebungsgrund müsse es sich um einen dem AG erst nachträglich, also erst nach Beginn der Ausschreibung, bekannt gewordenen Umstand handeln. Die nachträgliche Einführung von Eignungskriterien im Wege der Aufhebung einer Ausschreibung betreffe jedoch nicht nachträglich aufgetretene, bei Abfassung der Ausschreibung und der Vergabeunterlagen nicht erkennbare Umstände. Dies schließe eine Aufhebung der Ausschreibung wegen der unterbliebenen Berücksichtigung von Eignungskriterien bei der Ausschreibung bereits regelmäßig aus, erst recht sei eine solche Aufhebung nicht zwingend.
Der bei der Prüfung des Schadensersatzanspruchs des A angewandte Maßstab des OLG sei daher mit der Rechtsprechung des BGH unvereinbar, nach der nicht nachträglich weitere Vergabekriterien eingeführt werden dürften. Für die Prüfung eines auf das positive Interesse gerichteten Schadensersatzanspruchs eines Bieters komme es auf die objektiv richtige Beurteilung der Angebote anhand der konkreten in der Bekanntmachung geforderten Eignungsnachweise und der dort mitgeteilten Vergabekriterien an, nicht jedoch auf Kriterien und Nachweise in einem hypothetisch neuen Vergabeverfahren.
Anmerkung: Auftraggeber müssen vor Bekanntmachung eines zu vergebenden Auftrags genau überlegen, welche Eignungskriterien festgelegt werden und welche Nachweise von den Bietern zu fordern sind. Eine nachträgliche Änderung erst im laufenden Verfahren ist regelmäßig unzulässig. Möchte ein AG nach Bekanntmachung dennoch Änderungen durchführen, bleibt ihm letztlich nur eine Berichtigungserklärung der bekanntgemachten Ausschreibung. Denn nach dieser eindeutigen Entscheidung des BGH ist ein Angebotsausschluss wegen nicht bekanntgemachter Eignungskriterien genauso wenig zulässig wie eine Aufhebung des Verfahrens wegen „anderer schwerwiegender Gründe“ gem. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. |