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Norddeutsche Rohrwerber erwarten 2013 eine gute Reeternte

09.01.2013

Finanzkrise beschert Dachdeckerbranche an der Küste Bauboom von Reethäusern

Von Ralph Sommer

Ummanz/Neuenkirchen (dapd-lmv). Im Schritttempo steuert Ingulf Wichert die mächtige Erntemaschine hinter Rügens Deich am Kubitzer Bodden ins Rohr. Mühelos rollen die einen Meter breiten Gummireifen der "Saiga" über den matschig triefenden Torfboden. Dann senkt der Fahrer das hydraulische Schneidwerkzeug ab, und der Balkenmäher frisst sich durch das Gestrüpp. Vor Wicherts Füßen schleifen die geschnittenen Halme vorbei und werden automatisch zu handlichen Ballen gebündelt. Dort übernimmt Marcel Pautsch die mannshohen Bünde und wirft sie einem Kollegen zum Sortieren auf der Ladefläche zu. 20 Minuten später wird der schwer beladene Ernte-Truck zurück zum Lagerplatz gelenkt.

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Rohrwerber Marcel Pautsch (2.v.l.) übergibt auf einer Saiga-Erntemaschine geerntetes Schilfrohr an seinen Kollegen Wolfgang Wellnitz (l.).

Foto: Jens Köhler / dapd

 

Es ist wieder Erntezeit im Röhricht. In Mecklenburg-Vorpommern lenken derzeit 23 Rohrwerber ihre Erntemaschinen in die feuchten Rohrpläne. Es könnte eine gute Ernte werden, sagt Harald Nordt, einer von zwei hauptberuflichen Rohrwerbern im Nordosten Deutschlands. "Das warme Frühjahr, der feuchte Sommer und der weitgehend sturmfreie Herbst bescherten den Röhricht feuchte Füße und trockene Köpfe, eine Top-Qualität", sagt der Ummanzer Unternehmer, der mit zehn Erntehelfern bis Ende Februar rund 100 Hektar abzuernten hat. Bis zu 130.000 Bund Reet könnten das werden, ausreichend für fast 60 normale Häuser. "Früher standen uns mal mehr als 300 Hektar zu Verfügung", sagt Nordt. Doch die Umweltauflagen seien inzwischen so streng, dass der Bedarf längst nicht mehr abgedeckt werden könne. Erst kürzlich habe er eine Fläche verloren, die der Bund an eine Stiftung gegeben habe. Den neuen Pachtvertrag habe er aus Kostengründen nicht akzeptieren können. "Ich komme nicht umhin, auch Reet aus dem Ausland zuzukaufen, zum Beispiel vom Neusiedler See in Österreich", sagt Nordt, der etwa die halbe Nachfrage auf Rügen abdeckt.

Übertriebene Schutzauflagen machten der Branche zunehmend zu schaffen, bestätigt Mecklenburg-Vorpommerns Innungsmeister der Reetdachdecker, Rainer Carls, der ein Familienunternehmen in Neuenkirchen bei Greifswald führt. Auf Rügen zum Beispiel gingen Flächen verloren, weil sie als Ausgleich zur neuen Rügenbrücke unter Schutz gestellt wurden. Und am Peenestrom an der Anklamer Fähre fürchtet die alteingesessene Reetbauerfamilie Henck, zwei Drittel ihrer seit 400 Jahren bewirtschafteten, rund 200 Hektar großen Reetfläche durch die vom Land geplante Flutung der Peenewiesen zu verlieren. Dabei sei die alljährliche Mahd, wenn sie nicht in die Brutzeit falle, praktizierter Naturschutz, stellt Carls klar.

Das Reet wachse binnen eines Jahres komplett nach. Einige Kollegen hätten sogar schon beim Verwaltungsgericht Greifswald Klage gegen offenbar übertriebene Auflagen der Naturschutzbehörden eingereicht. Die Zunft hoffe jetzt, dass vielleicht mit aktuellen Forschungsprojekten der Universitäten Greifswald und Kiel zum Reetanbau in Moorgebieten zusätzliche Ressourcen erschlossen würden. Doch dafür müsse zuvor auch moderne und teure Spezialtechnik angeschafft werden, die sich viele Rohrwerber nicht leisten könnten. Insgesamt aber geht es der Branche gut. Ausgerechnet die Finanz- und Wirtschaftskrise habe ihr seit 2008 zu einem regelrechten Boom verholfen, sagt Carls.

Denn an der Nord- und Ostseeküste legten seit 2008 zahlreiche Investoren ihr Geld in langfristige Anlagen wie den Bau moderner Ferienhäuser mit Rohrdächern an. "Wir kommen kaum noch hinterher, die Auftragsbestände abzuarbeiten." Entsprechend groß sei der Bedarf an Reet. Nur etwa ein Zehntel des eingesetzten Materials stamme aus einheimischer Ernte, der Rest werde aus Österreich, Osteuropa, dem Baltikum, Russland und sogar China importiert.

  Quelle: dapd


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