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Preis-Abstand von 30% : Prüfpflicht des Auftraggebers!

10.09.2019

von RA Michael Werner


Die Vergabekammer (VK) Sachsen hat mit Beschluss vom 05.07.2019 – 1/SVK/011-19 u.a. folgendes entschieden:


Ein Abstand der Angebote für Bauleistungen von über 30% indiziert den Anschein eines unangemessen niedrigen Angebots und löst eine Prüfpflicht des Auftraggebers aus. Bei einem solchen Überschreiten der Aufgreifschwelle ist eine Angemessenheitsprüfung zu veranlassen.

Eine ordnungsgemäße Bekanntmachung der Eignungskriterien durch Verlinkung kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um eine Verlinkung auf ein elektronisch ohne Weiteres zugängliches Dokument, aus dem sich konkret die Eignungsanforderungen ergeben, handelt und ein weiterer Rechercheaufwand - um sich Kenntnis von den Eignungsanforderungen zu verschaffen - nicht entsteht.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Trockenbauarbeiten im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Bezüglich der Eignungskriterien verwies die Bekanntmachung auf die Auftragsunterlagen. Nach Submission sollte der Zuschlag auf das Angebot des Bieters B erteilt werden. Der zweitplatzierte Bieter A rügte darauf, dass B ein Unterkostenangebot abgegeben habe, das 31% unter seinem Angebot liege, weshalb der AG das Angebot des B hätte aufklären müssen. Der AG half der Rüge nicht ab mit dem Argument, das Angebot des B liege lediglich 8% unter seiner Kostenschätzung, weshalb eine Aufklärung des Preises nicht angezeigt gewesen wäre. Bieter A beantragte darauf Nachprüfung.

Die VK gibt hier Bieter A Recht, da § 16d Abs. 1 Nr. 2 EU VOB/A verletzt sei. Nach dieser Vorschrift habe der AG, wenn der Preis eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheine und anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen sei, vom Bieter Aufklärung zu verlangen. Wann ein ungewöhnlich niedriger Angebotspreis und mithin eine Aufklärungspflicht des AG vorliege, bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalls. In der Rechtsprechung seien insoweit Aufgreifschwellen anerkannt, bei deren Erreichen eine Verpflichtung des AG angenommen werde, in eine nähere Prüfung der Preisbildung einzutreten. Unterschiedliche Einschätzungen bestünden diesbezüglich nur darüber, ob diese Aufgreifschwelle immer erst bei einem Preisabstand von 20% zum nächsthöheren Angebot erreicht sei oder schon in einem Bereich über 10% einsetzen könne. Auch dürften Kostenschätzungen bei dieser Prüfung grundsätzlich herangezogen werden. Dies bedeute aber nicht, dass der Anschein eines unangemessen niedrigen Angebotes allein durch eine Kostenschätzung des AG ausgeräumt werden könne.

Vorliegend betrage der Abstand des Angebotes des B zum zweitplatzierten Angebot des A 31,67% und es sei 8,71% niedriger als die Kostenschätzung des AG. Auch wenn grundsätzlich alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen seien, indiziere hier allein der Abstand der Angebote von über 30% bereits den Anschein eines unangemessen niedrigen Angebots und löse die Prüfpflicht des AG aus. Denn einerseits könne es allein nicht isoliert nur auf die Kostenschätzung des AG ankommen. Andererseits sei hier auch die Kostenschätzung des AG nicht zu berücksichtigen. Denn diese sei nicht Teil der Vergabeakte gewesen und auch nach Hinweis der VK nicht vorgelegt worden. In der Vergabeakte befinde sich lediglich im Vergabevermerk die Angabe einer Ziffer zum Auftragswert ohne nähere Erläuterungen. Ob es sich dabei um eine ordnungsgemäße Schätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV handele, könne daher nicht beurteilt werden und somit nicht als Umstand im Rahmen der Prüfung, ob der Anschein eines unangemessen niedrigen Preises vorliege, herangezogen werden. Dies gehe zu Lasten des AG, da sich dieser vorliegend auf die Kostenschätzung berufe. Ebenfalls sei der Vergabeakte eine dokumentierte hinreichende Angemessenheitsprüfung des Preises des B nicht zu entnehmen. In dieser fänden sich im Vergabevermerk und in der Angebotswertung durch ein externes Unternehmen lediglich bruchstückhafte, oberflächliche, floskelartige und nichtssagende Ausführungen, welche nicht ansatzweise belegten, dass sich der AG irgendwie mit der Kalkulation des Angebotes des B auseinandergesetzt hätte. Daher liege ein klarer Verstoß gegen § 16d Abs. 1 Nr. 2 EU VOB/A vor.

Unabhängig hiervon sei festzustellen, dass der AG die Eignungskriterien nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht habe (§ 122 Abs. 4 Satz 2 GWB , § 48 Abs. 1 VgV). Der AG habe in der Bekanntmachung darauf verwiesen, dass die Eignungskriterien durch den dort angegebenen Link zu Verfügung stünden. Trotz des Wortlautes in § 122 Abs. 4 S. 2 GWB und § 48 Abs. 1 VgV, der eine Angabe sowohl der Eignungskriterien als auch der Unterlagen, mit denen die Eignung zu belegen sei, in der Bekanntmachung selbst fordere, habe die Rechtsprechung eine Verlinkung in der Bekanntmachung auf die Auftragsunterlagen, welche die Eignungskriterien enthielten, in bestimmten Fällen für ausreichend erachtet, wenn diese auf einen Blick erkennbar seien. Sinn und Zweck von § 122 Abs. 4 S. 2 GWB bzw. § 48 Abs. 1 VgV sei es, dass potentielle Bewerber/Bieter bereits aus der Auftragsbekanntmachung die an sie in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht gestellten Anforderungen ersehen könnten, um anhand dieser Angaben zu entscheiden, ob sie sich an der Ausschreibung beteiligen könnten und wollten. Diesem Zweck widerspreche es, wenn in der Bekanntmachung bezüglich der Eignungskriterien pauschal auf die Vergabe- und Auftragsunterlagen als Ganzes verwiesen werde. Folge man dem hier angegebenen Link und klicke sich dann zu den Vergabeunterlagen durch, finde man mehrere PDF-Dokumente. Aus der Bezeichnung der Dokumente sei nicht ersichtlich, in welchem sich die Eignungskriterien befänden. Vielmehr müsste man diese durchsehen, um innerhalb eines dieser PDF-Dokumente zu den Eignungskriterien zu gelangen. Dieser Rechercheaufwand - um sich Kenntnis von den Eignungsanforderungen zu verschaffen – widerspreche aber gerade dem Zweck des § 122 Abs. 4 GWB.

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Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt erstens, wie fatal es ist, sich als AG bezüglich eines Preisabstandes auf die eigene Kostenschätzung zu berufen, wenn diese im Vergabevermerk gar nicht dokumentiert ist. Des Weiteren wieder einmal der klare Hinweis, dass die Bieter mittels eines Links in der Bekanntmachung – ohne Rechercheaufwand – direkt und unmittelbar zu den entsprechenden Angaben bzgl. der Eignungsanforderungen gelangen müssen.

  Quelle: RA Michael Werner


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