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Preisaufklärung ohne Aufklärungsbedürfnis zulässig?

21.12.2021

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Nordbayern hat mit Beschluss vom 11.08.2021 – RMF-SG21-3194-6-25- u.a. folgendes entschieden:

Erscheinen die Angebotspreise der Bieter bei Angebotsabgabe nicht unangemessen, darf der öffentliche Auftraggeber selbst dann keine Preisaufklärung gemäß § 15 EU VOB/A verlangen, wenn er sich dies vorbehalten hat oder dies in einem Vergabehandbuch oder einer Dienstanweisung so geschrieben steht. Vielmehr braucht er dafür einen Grund i. S. d. § 16d EU Abs. 1 VOB/A.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. In den Vergabeunterlagen hatte sich der AG ausdrücklich vorbehalten, mithilfe eines beigefügten Formblatts (Formblatt 223) die Einzelpreise der Angebotspreise von den Bietern abzufragen. Nach Submission forderte daher der AG die vier bestplatzierten Bieter auf, das Formblatt 223 einzureichen. Nach Auswertung des eingereichten Formblatts forderte der AG den bestplatzierten Bieter A zur weiteren Aufklärung seiner Angebotspreise gemäß § 15 EU VOB/A auf, da er anhand der Einzelpreise vermutete, dass eine unzulässige Mischkalkulation vorlag. Nach Aufklärung seiner Preisbildung durch A schloss schließlich der AG dessen Angebot aus, da er trotz der Preisaufklärung weiterhin ein unangemessenes Verhältnis von Preis und Leistung sowie eine unstatthafte Mischkalkulation annahm. Hiergegen wehrte sich A nach erfolgloser Rüge mit einem Nachprüfungsantrag.


Die VK gibt Bieter A Recht. Der AG habe die Angebotspreise nicht mithilfe des Formblatts 223 aufklären und das Angebot des A aufgrund der Preisaufklärung ausschließen dürfen. Eintragungen im Formblatt 223 seien nach der Rechtsprechung keine Preisangaben im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, so dass § 16a Abs.2 EU VOB/A nicht einschlägig sei. Sie würden nicht Vertragsbestandteil, weil im Vertrag nur die (Einheits-)Preise, nicht aber deren einzelne Elemente oder die Art ihres Zustandekommens vereinbart würden.


Das Formblatt 223 habe somit ausschließlich den Zweck, dem Auftraggeber zu ermöglichen, auffällig erscheinende Angebotspreise auf Angemessenheit einer ersten Prüfung zu unterziehen und, falls erforderlich, eine gezielte Aufklärung vorzunehmen.


Jedenfalls dann, wenn Formblatt 223 nicht bereits mit dem Angebot vorzulegen sei, dürfe der Auftraggeber dieses nicht allein deshalb anfordern, weil er sich dies vorbehalten habe oder dies in einem Vergabehandbuch oder einer Dienstanweisung so geschrieben stehe. Vielmehr brauche er dafür einen Grund im Sinne des § 16d EG Abs. 1 VOB/A. (siehe auch VK Südbayern v. 29.01.2018 - Z3-3-3194-1-53-11/17).


Nach Öffnung der Angebote dürfe der AG gem. § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A von einem Bieter nur Aufklärung verlangen, um sich über die Angemessenheit der Preise, wenn nötig durch Einsicht in die vorzulegenden Preisermittlungen (Kalkulationen) zu unterrichten. In Anbetracht eines Preisunterschieds zwischen A und dem zweitplatzierten Bieter von hier weniger als 1 % sei bei objektiver Betrachtung ein Aufklärungsbedarf nicht erkennbar.


Ebensowenig läge eine Mischkalkulation vor. Ein Angebot enthalte dann nicht die geforderten Preise im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A, wenn ein Bieter die für einzelne Positionen aus dem Leistungsverzeichnis vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen verlagere. Bieter A habe aber nachvollziehbar dargestellt, dass eine Preisverlagerung nicht stattgefunden habe. Die VK erachte diesen Sachvortag des A für glaubhaft, da keine objektiven Anhaltspunkte für eine entsprechende Preisverlagerung erkennbar seien. Nachdem die vorgenommene Preisaufklärung nicht zulässig gewesen sei, habe A sein Vorbringen auch entsprechend richtigstellen dürfen.


Deswegen fehlten die Grundlagen für eine Feststellung, dass der von A gebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig sei. Damit lägen die gesetzlichen Voraussetzungen dafür, dass der AG gemäß § 15 EU Abs.1 Nr.1 VOB/A von A Aufklärung verlangt habe, nicht vor. Das Verlangen einer Aufklärung sei somit vergaberechtswidrig gewesen. Das Einfordern des Formblattes 223 hätte eines konkreten Aufklärungsbedarfes bedurft. Ein Aufklärungsbedarf sei vorliegend nicht ersichtlich, die Forderung sei daher unberechtigt erhoben worden.

Durch das unberechtigte Aufklärungsverlangen sei A in seinen Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB verletzt worden. Der AG habe A ausgeschlossen, weil dessen Antwort ihn nicht befriedigt habe. Ohne Aufklärungsverlangen wäre das Angebot des A nach damaliger Sachlage jedoch in der Wertung geblieben.

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RA Michael Werner

Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt, ist die Forderung des Auftraggebers nach Überprüfung von Angebotspreisen nicht ohne Grenzen. Das heißt: der Auftraggeber darf erst bei einem konkreten Aufklärungsbedürfnis die Angebotspreise der Bieter aufklären. Dieses Aufklärungsbedürfnis muss sich aus den Angebotspreisen ergeben. Der pauschale Vorbehalt, Angebotspreise mit Hilfe eines Formblatts auch ohne ein solches Aufklärungsbedürfnis aufzuklären und Einzelpreise zu ermitteln, ist somit unzulässig.


  Quelle: Ra Michael Werner


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