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Projektantenproblematik: Zum Ausgleich des Erkenntnisvorteils

05.12.2023

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 18.09.2023 -VK 2-68/23 – folgendes entschieden:

1. Ein öffentlicher Auftraggeber kann ein Unternehmen von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen, wenn eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war und die Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann.
2. Hat ein Unternehmen oder dessen Nachunternehmer an der Erstellung der Vergabeunterlagen mitgewirkt, rechtfertigt dieser Umstand für sich genommen nicht den Ausschluss vom Vergabeverfahren. Gleichwohl ist von einem wettbewerbsverzerrenden Informationsvorsprung auszugehen, dessen Ausgleich im Einzelfall vergaberechtlichen Grundsätzen genügen muss.
3. Die bloße Offenlegung der vom vorbefassten Unternehmen erstellten Vergabeunterlagen genügt nicht, um einen strukturellen Erkenntnisvorteil auszugleichen.

 

Portrait Anwalt Werner

 

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Leistungen der Baufeldlogistik bzw. die Neuordnung einer Baufeldinfrastruktur europaweit im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Für die Vorbereitung des Vorhabens und des Vergabeverfahrens sowie dessen Durchführung beauftragte er den Projektsteuerer P. Dieser beauftragte wiederum einen Nachunternehmer A, der konkret mit der Erstellung des Baulogistikkonzeptes (Lph 2-4) und der Ausführungsplanung (Lph 5) befasst war und bei der Aufstellung des Leistungsverzeichnisses (Lph 6) mitwirkte. A nahm darauf am Vergabeverfahren teil; nach Abschluss der Angebotswertung beabsichtigte der AG, dem A den Zuschlag zu erteilen. Bieter B rügte darauf die beabsichtigte Zuschlagserteilung an A und forderte dessen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB - mit dem Argument, A sei als Nachunternehmer des P eingesetzt und daher als Projektant in die Erstellung der Vergabeunterlagen eingebunden gewesen. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte B Nachprüfung.

Die VK Bund gibt Bieter B teilweise Recht. Allerdings sei A als Nachunternehmer des P nicht – wie von B gefordert – vom Vergabeverfahren auszuschließen. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB könne ein öffentlicher Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zwar von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen, wenn eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiere, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen gewesen sei. Ein solcher Ausschluss setze aber voraus, dass diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden könne. Der Ausschluss eines vorbefassten Bieters als einschneidende Maßnahme komme damit nur im Sinne einer „ultima ratio“ in Betracht.

Hier sei jedoch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Streichung des qualitativen Unterkriteriums 1.3 (Entwicklung eigener Lösungsansätze) das ausreichende, aber auch gebotene Mittel, um die sich aus der Vorbefasstheit des A ergebende Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen.

B habe hier für den AG den wesentlichen Teil der Vergabeunterlagen erstellt, darunter für die spätere Angebotsbearbeitung zentrale Dokumente wie den Generalablaufplan, das Leistungsverzeichnis, die Aufgaben- und Leistungsbeschreibung sowie diverse Planungsunterlagen und das Baustellensicherheitskonzept. Daraus resultiere grundsätzlich auch ein relevanter Informationsvorsprung, den der AG dem Grunde nach zutreffend erkannt und dadurch auszugleichen versucht habe, dass er die dem A im Zuge der von diesem erstellten Vergabeunterlagen bekannten Unterlagen allen Bietern mit den Vergabeunterlagen zugänglich gemacht habe und den Bietern eine angemessene Angebotsfrist eingeräumt habe. Zwar habe er damit den sich für A aus der schlichten Kenntnis der Vergabeunterlagen ohne Weiteres ergebenden Wettbewerbsvorsprung durch die Offenlegung im Rahmen der Vergabeunterlagen insoweit ausgeglichen, als alle Bieter in die Lage versetzt worden seien, die in den Vergabeunterlagen dokumentierten Informationen in gleicher Weise ihren Angebote bzw. Präsentationen zugrunde legen zu können. Dieser Informationsausgleich reiche aber noch nicht aus, um den bestehenden Wettbewerbsvorteil in gebotenem Maße auszugleichen.

Hier habe A zur Erfüllung seines Vorauftrags zur Erstellung der Vergabeunterlagen notwendigerweise Zugriff auf wettbewerblich relevante Informationen gehabt und dadurch denknotwendig Erkenntnisse erlangt, die ihm für die Teilnahme am verfahrensgegenständlichen Verhandlungsverfahren die Durchdringung der Vergabeunterlagen zwanglos erleichtern würden und somit auch geeignet seien, ihn bei der maßgeblich im Hinblick auf das Unterkriterium 1.3 geforderten Entwicklung eigener Lösungsansätze zu unterstützen. Hierbei handele es sich um einen unvermeidbar strukturell gelagerten Informations- und Wettbewerbsvorteil, der den übrigen Bietern bei der Erstellung ihrer Präsentation nicht zugute kommen könne und der deshalb auszugleichen sei, weil er deren Chancengleichheit beeinträchtige und so den Vergabewettbewerb zu ihren Lasten verzerre.

Der Ausgleich der hier festgestellten strukturell gelagerten Wettbewerbsverzerrung sei aber möglich durch die Streichung des Unterkriteriums 1.3, worüber es dem A ermöglicht worden sei, seine Erkenntnisvorteile in die Ausgestaltung seiner Präsentation einfließen zu lassen, so dass diese zwangsläufig Einfluss auf die Bewertung der Präsentationen und damit auf die Zuschlagsentscheidung gehabt hätten. Diese Maßnahme sei ersichtlich ein weniger einschneidendes Mittel als der Ausschluss des Angebots der A, was deshalb ausscheide.

Anmerkung:

Die Entscheidung spricht ein Problem an, das in der Praxis zu beträchtlichen Schwierigkeiten für den Auftraggeber führen kann: Ein Bieter, der bereits im Vorfeld der Ausschreibung auf Seiten des AG tätig war (z.B. bei der Planung), bewirbt sich später an diesem Vergabeverfahren. Durch seine frühere Beteiligung hatte er Zugriff auf wettbewerblich relevante Informationen und dadurch gegenüber anderen Bietern einen klaren Vorteil. Der Ausschluss dieses vorbefassten Bieters (sog. Projektant) soll – siehe oben – grundsätzlich die „ultima ratio“ sein. Vielmehr muss der AG dann konkret prüfen, welche weniger einschneidenden Maßnahmen, d.h. zum Ausgleich des Informationsvorsprungs möglich sind. Dies ist aber in aller Regel nicht so einfach wie hier durch die bloße Streichung eines Unterkriteriums.

  Quelle: Anwalt Werner


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