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Prüfungsmaßstab für die Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes

10.01.2014

Die Vergabekammer (VK) Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 03.06.2013 – VK 2-10/13 - u.a. Folgendes entschieden:

• Prüfungsmaßstab für die Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes ist die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Bieters. Erkennbar im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB sind solche Vergaberechtsverstöße, die bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen von einem durchschnittlichen Unternehmen erkannt werden. Ein Bieter ist folglich dann mit der Geltendmachung eines Vergabefehlers ausgeschlossen, wenn dieser aus der Vergabebekanntmachung bzw. aus den Vergabeunterlagen erkennbar war und infolge (einfacher) Fahrlässigkeit nicht erkannt oder geltend gemacht wurde.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Februar 2013 die Baumaßnahme „Neuer Entlastungskanal R., 1. Bauabschnitt“ im offenen Verfahren national ausgeschrieben. Die Ausschreibung des 2. Bauabschnitts war frühestens für das Jahr 2015 vorgesehen. Der Antragsteller (A), ein auf Kanalbau und Kanalsanierung spezialisiertes Unternehmen, welches sich regelmäßig auf europaweite Ausschreibungen bewirbt, rügte im April 2013 die nicht erfolgte europaweite Ausschreibung der Gesamtbaumaßnahme (1. und 2. Bauabschnitt) wegen Erreichens des europäischen Schwellenwerts von 5. Mio. Euro; auf eine solche europaweite Bekanntmachung hätte er ein Angebot abgegeben. Im weiteren Verlauf machte er geltend, dass er auch nicht gemäß § 107 Abs. 3 GWB präkludiert sei, da die Umgehung der Schwellenwerte nicht aus er Bekanntmachung ersichtlich gewesen sei. Demgegenüber trägt der AG vor, dass zwei voneinander getrennte Baumaßnahmen vorlägen, da die beiden Entlastungskanäle selbstständige Bauwerke seien, die nicht in Abhängigkeit zueinander stünden. Die Schwellenwerte seien deshalb nicht überschritten. Außerdem sei die Rüge des A verspätet gewesen. Da der Rüge des A nicht abgeholfen wurde, beantragte A die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag bereits als unzulässig zurück. A fehle es bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB. Ferner habe er die Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht beachtet.

Antragsbefugt gemäß § 107 Abs. 2 GWB sei jedes Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag habe, eine Verletzung in eigenen Rechten (gemäß § 97 Abs. 7 GWB) durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend machen und darlegen könne, dass ihm durch die Vergaberechtsverletzung ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe.

Ein Interesse am Auftrag bestehe grundsätzlich nur zu Gunsten eines solchen Unternehmens, das einen Teilnahmeantrag oder ein Angebot einreiche und sich damit am Vergabeverfahren direkt beteiligt habe. Ein Unternehmen, das sich nicht am Vergabeverfahren beteilige, sei im Vergabenachprüfungsverfahren deshalb grundsätzlich nicht antragsbefugt. Nur im Ausnahmefall könne einem Unternehmen gleichwohl ein hinreichendes Interesse am Auftrag unterstellt werden. Voraussetzung hierfür sei, dass die Nichtteilnahme am Vergabeverfahren auf einem hinreichenden Grund beruhe, was z.B. dann der Fall sein könne, wenn das Unternehmen von der Teilnahme gerade wegen bzw. aufgrund des gerügten Vergabeverstoßes abgesehen habe. Es müsse also ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß und der nicht erfolgten Teilnahme bestehen. Des Weiteren habe er keine rechtzeitige Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB erhoben. Auch wenn keine europaweite Ausschreibung erfolgt sei, sei der A potentiell in der Lage gewesen, sich über die Veröffentlichung und die Vergabeabsicht hinreichend zu informieren. Vielmehr habe er auf eigene Gefahr seine Recherche auf europaweit ausgeschriebene Verfahren eingegrenzt. Der geltend gemachte Verstoß habe daher spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe geltend gemacht werden müssen. Da daher der Antrag wegen fehlender Antragsbefugnis und aufgrund der Rügepräklusion unzulässig gewesen sei, könne es dahinstehen, ob hier ein Vergaberechtsverstoß aufgrund der Umgehung der Schwellenwerte tatsächlich vorliege.

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RA Michael Werner

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ZIRNGIBL LANGWIESER
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Anmerkung:
Wie aus dem o.g. Beschluss zu ersehen, kann es gefährlich sein, sich in seiner Recherche nach Aufträgen auf europaweit ausgeschriebene Verfahren zu beschränken. Dann kann es nämlich nach § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB tatsächlich zu spät sein, entsprechende Vergabeverstöße zu rügen. Denn in der Regel ist es dann für den Bieter problematisch, zu rügen, wenn er – wie hier – erst gar keine Vergabeunterlagen angefordert hat. Dies fällt jedoch grundsätzlich in den Risiko- bzw. Verantwortungsbereich des Bieters.

 

 

  Quelle: RA Michael Werner


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