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Qualifikation ist keine Wettbewerbsschranke!

19.03.2015

Die negativen Folgen der Liberalisierung der Handwerksordnung 2004 in Deutschland sind unübersehbar. Nun plant die EU weitere Liberalisierungen beim Zugang zum Handwerk.

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Foto: © ZDH / Stegner

Im Interview mit der Kleinen Zeitung, Graz warnt ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke davor, ein über Jahrhunderte gewachsenes, erfolgreiches System zu zerstören und fragt: „Seit wann ist Qualifikation eine Wettbewerbsschranke?“

2004 hat Deutschland – anders als in Österreich – für mehr als die Hälfte der Gewerke die Meisterpflicht abgeschafft. Warum hat man das damals gemacht? Man sprach oft von „verkrusteten Strukturen“ und einer „Belebung des Wettbewerbs“.
Holger Schwannecke: Seinerzeit wollte die Bundesregierung mehr Selbständigkeit anregen, mehr Wettbewerb und günstigere Verbraucherpreise. Die Dynamik bei den Gründungen wurde jedoch teuer erkauft – die Zahl der Betriebsschließungen steigt stark an und unqualifizierte Billig-Betriebe unterminieren den Ruf des Handwerks.

Welche Berufe waren insbesondere betroffen?
Schwannecke: 51 Handwerksberufe sind seitdem zulassungsfrei. In vielen dieser Berufe führt der Trend zu gering qualifizierten Kleinbetrieben zu weniger Beschäftigung und Ausbildung.Angesichts geringer Verdienstmöglichkeiten droht diesen Unternehmern später Altersarmut.

Was ist im Wesentlichen in den elf Jahren nach dieser Liberalisierung passiert?
Schwannecke: Nehmen Sie als Negativbeispiel das Fliesenleger-Handwerk. Die Zahl der Betriebe ist von 12.400 im Jahr 2003 auf 70.400 zehn Jahre später gestiegen. Die Zahl der Meisterprüfungen ging in diesem Zeitraum von 557 auf 86 zurück, die Zahl der Auszubildenden sinkt. Der einst begehrte Beruf mit hohen Löhnen ist heute das Einfallstor für Scheinselbständige auf Baustellen, die die Mindestlöhne unterbieten. Die hohe Zahl unqualifizierter Anbieter führt zu einem drastischen Anstieg von Mängeln und Bauschäden.

Wie kann man sich die Lage in der Praxis vorstellen? Darf also jeder, der sich befähigt fühlt, in Deutschland ein Fliesenleger-Gewerbe anmelden?
Schwannecke: Ja. Wir stellen immer wieder fest, dass viele Politiker bis heute in dem Glauben sind, der Gesellenbrief sei für die Selbständigkeit notwendig. Doch das Gesetz fordert keinerlei Qualifikation, es sind zulassungsfreie Handwerke.

Inwiefern hat sich das auf die Qualität der Ausbildung ausgewirkt?
Schwannecke: Die Zahl der Betriebe, die ausbilden können, ist zurückgegangen. Wer selbst nicht ausreichend qualifiziert ist, kann auch nichts weitergeben, nicht ausbilden. Die Meisterqualifikation ist bei Klein- und Mittelbetrieben die Garantie für eine gute Ausbildungsleistung. Alle zulassungsfreien Berufe zusammen bilden aktuell nur noch fünf Prozent aller Handwerks-Azubis aus.

Weshalb schlittern so viele der Betriebe in zulassungsfreien Handwerksberufen in die Insolvenz?
Schwannecke: Sie stehen als gering Qualifizierte beständig im Unterbietungswettbewerb. Nachhaltiges Wirtschaften ist so selten möglich. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Qualifikation und wirtschaftlichem Erfolg.

Nun plant die EU weitere Liberalisierungen beim Zugang zum Handwerk. Warum tut sie das eigentlich?
Schwannecke: Die EU widerspricht sich hier selbst. Auf der einen Seite lobt sie die duale Ausbildung im Handwerk als „best practice“ in Europa, auf der anderen Seite nennt sie den Meisterbrief eine Zugangshürde für den Markt. Bitte, seit wann ist Qualifikation eine Wettbewerbsschranke? Wir setzen darauf, dass die EU den fairen Wettbewerb unter qualifizierten Unternehmen in Europa will. Zumal Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten eine eher geringe Zahl regulierter Berufe hat.

Was wären die Konsequenzen bei einer weiteren Öffnung?
Schwannecke: Da brauchen Sie doch nur mal die südeuropäischen Krisenstaaten anzuschauen. Qualifiziertes Handwerk, mit hohen Beschäftigungs- und Ausbildungszahlen, existiert nicht. Ein deutscher Handwerksmeister mit 1000 Stunden Fortbildung zum Gebäudeenergieberater, der die Herausforderungen der Energiewende auch praktisch meistern kann, findet sich dort nicht. Daraus folgt: Wir brauchen in Europa mehr Qualifikation. Es bringt aber niemandem etwas, ein über Jahrhunderte gewachsenes, erfolgreiches System zu zerstören. Im Gegenteil: Es schadet.

Wie sieht die öffentliche Meinung zu dem Thema aus? War die Novelle ein Fehler? Und: Wäre eine Rückkehr zu mehr Zugangshürden überhaupt denkbar?
Schwannecke: Die Zeit zurückdrehen zu wollen, ist wenig realistisch. Doch wir beobachten, dass die Diskussion in Brüssel die Wertschätzung der Deutschen für das Meisterhandwerk gesteigert hat. Die Politik hat darauf reagiert, Bundeskanzlerin und Wirtschaftsminister wollen dafür sorgen, dass der Angriff aus Brüssel abgewehrt wird. Auch die Bundesländer und der Bundestag haben sich in diesem Sinne eindeutig und über die Parteigrenzen hinweg positioniert.

Blicken Sie eigentlich noch manchmal etwas neidisch nach Österreich?
Schwannecke: Wir schauen schon genau hin, was bei unseren österreichischen Freunden passiert. Wir wollen in Deutschland die „höhere Berufsbildung“ als Marke etablieren, als Konkurrenz zur akademischen Bildung. Damit wollen wir auch für leistungsstarke Schüler die berufliche Bildung attraktiver machen. Ein erster Ansatz soll das duale Abitur sein. Vorbild dabei ist die duale Matura in Österreich.

Die Fragen stellte Philipp Lackner.

  Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V.


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