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Richtlinienpaket verabschiedet

25.11.2013

Im Blickpunkt: aktuelle Entwicklungen im EU-Vergaberecht

Von Dr. Corina Jürschik

Am 25.06.2013 passierte das Richtlinienpaket zur Neufassung des Vergaberechts das Trilog-Verfahren, ein Gespräch zwischen Europäischer Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens. Das Richtlinienpaket dient der Neufassung der EU-Richtlinien für die Vergaben von klassischen öffentlichen Auftraggebern (bisher Richtlinie 2004/18/EG) und Sektorenauftraggebern (bisher Richtlinie 2004/17/EG) sowie der Einführung einer Richtlinie über Konzessionsvergaben. Letztere stand unter dem Schlagwort „Privatisierung der Trinkwasserversorgung“ und der Bürgerinitiative „right2water“ monatelang im Fokus öffentlicher Kritik. Mittlerweile liegen die finalen Kompromisstexte vor, die voraussichtlich in den nächsten zwei Monaten die letzten Stationen des Gesetzgebungsverfahrens passieren werden. Der nunmehr fortgeschrittene Entscheidungsprozess zur Neuregelung des Vergaberechts gibt Anlass dazu, mit diesem Beitrag einen Überblick über einige wichtige Neuerungen zu geben.

Ziel der Reformbemühungen
Ziel der Neufassung der Vergaberichtlinien für die klassische Auftragsvergabe und für Sektorenauftraggeber war die Steigerung der Effizienz der öffentlichen Ausgaben zur Gewährleistung bestmöglicher Beschaffungsergebnisse und – wie schon bei den vorangegangenen Reformbemühungen – die Schaffung von mehr Flexibilität bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Daneben soll es ermöglicht werden, gesellschaftliche und politische Ziele mit der öffentlichen Auftragsvergabe zu fördern. Bisher konnten „vergabefremde Aspekte“ nur in eingeschränktem Umfang miteinbezogen werden. Die erstmalige Regelung der Konzessionsvergabe verfolgt demgegenüber andere Ziele. Durch die Normierung der Konzessionsvergabe soll ein einheitlicher Rechtsrahmen für die bisher nicht geregelte und von der Rechtsprechung des EuGH geprägte Vergabe von Konzessionen aufgestellt werden. Neben der Schaffung von Rechtssicherheit bezweckt die Konzessionsrichtlinie die Sicherstellung von Transparenz und Fairness bei der Auftragsvergabe sowie einen besseren Zugang zu den Konzessionsmärkten der Mitgliedsstaaten.

Klassische Vergaberichtlinie
Der finale Kompromissvorschlag bezüglich einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe (2011/0438 [COD]) zur Ersetzung der Richtlinie 2004/18/EG vom 31.03.2004 (sog. klassisches Vergaberecht) enthält mehrere erwähnenswerte Neurungen. Neben der Präzisierung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts und der Aufnahme der Rechtsprechung des EuGH in die Begriffsbestimmungen sind vorrangig das offene und nichtoffene Verfahren vorgesehen. Verhandlungsverfahren und wettbewerblicher Dialog bleiben aber unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin möglich. Neuartige Verfahren, die den öffentlichen Auftraggebern mehr Spielräume zugestehen sollen, wie die Innovationspartnerschaft für innovative Beschaffungen, werden außerdem eingeführt. Möchte man drei Punkte von besonderer Bedeutung für die Praxis von morgen herausgreifen, so sind die Vorgaben zur (zulässigen) Vertragsänderung (Art. 72), die Einführung eines Kündigungsrechts bei Vergaberechtsfehlern (Art. 73) und die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit bei Verhaltensverstößen (Art. 55 Nr. 4) zu nennen. Nach der Rechtsprechung des EuGH und der nationalen Vergabenachprüfungsinstanzen gilt, dass eine wesentliche Vertragsänderung einer (vergaberechtswidrigen) Neuvergabe, einer sogenannten De-facto-Vergabe, gleichzustellen ist (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 19.06.2008, Rs. C-454/06 – „Pressetext“; Urteil vom 13.04.2010, Rs. C-91/08 – „Wall“).

Folge dieser Gleichstellung ist, dass die „Neuvergabe“ ein halbes Jahr von Wettbewerbern vor den zuständigen Vergabekammern angegriffen werden kann („schwebend unwirksam“) und eine dauerhafte Überprüfung durch die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge möglich ist. Ein Verstoß gegen europäisches Vergaberecht stellt sich aus Sicht des EuGH als andauernder europarechtswidriger Zustand dar, der von den Mitgliedsstaaten abgestellt werden muss (vgl. EuGH, Urteil vom 18.07.2007, Rs. C-503/04 – „kein pacta sunt servanda“). Wann aber eine Vertragsänderung so wesentlich ist, dass sie einer Neuvergabe gleichsteht, wurde von der Rechtsprechung nur rudimentär, aber überaus facettenreich entschieden. An dieser Stelle gibt künftig Art. 72 („Modification of contracts during their term“) Anhaltspunkte. Danach ist unter anderem eine Vertragsänderung zulässig, wenn diese schon präzise im ursprünglich ausgeschriebenen Vertrag angelegt war [Art. 73 Nr. 1 Buchst. a)]. Während dies von der Rechtsprechung bereits anerkannt war, werden auch Möglichkeiten für den Fall aufgezeigt, dass die ursprüngliche Ausschreibung eine Änderung nicht vorgesehen hatte. So ist eine Vertragsänderung beispielsweise möglich, wenn weitere Leistungen nötig werden und eine Änderung des Auftragnehmers aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen unverhältnismäßig bzw. nicht möglich wäre sowie eine Preiserhöhung nicht 50% des ursprünglichen Auftragswerts überschreitet. Gleichzeitig werden Grenzen der Vertragsänderung sowie ein Maßstab für substantielle Änderungen aufgezeigt, die vergaberechtlich unzulässig sind (Art. 72 Nr. 4). Ausgehend von einer unzulässigen Vertragsänderung, wurde in der Vergangenheit auch lebhaft diskutiert, wie mit vergaberechtswidrigen Verträgen umzugehen sei.

Da diesen häufig ein Kündigungsrecht fehlte, war aus Sicht des deutschen Rechts ein (europarechtlich gebotener) Abbruch des Vertrags nicht ohne weiteres möglich. Dieses Problem aufgreifend, ist nach Art. 73 künftig ein Kündigungsrecht sicherzustellen, wenn sich ein Vertrag (unter anderem) als vergaberechtswidrig entpuppt. Hinzuweisen ist schließlich auf die künftig normierte Möglichkeit, die eigene Zuverlässigkeit wiederherzustellen. Grundsätzlich gilt im Vergaberecht, dass ein Auftrag nur an zuverlässige bzw. geeignete Bewerber und Bieter vergeben werden darf (vgl. dazu Deutscher AnwaltSpiegel vom 15.05.2013, S. 11 f.). Bisher kann ein Unternehmen bei schwerwiegenden Verstößen (wie etwa Korruption) von der Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Vergabesperren, also ein langfristiger, pauschaler Ausschluss vom Vergabeverfahren, und Korruptionsregister werden von der nationalen Rechtsprechung als zulässig erachtet. Die Voraussetzungen der Wiederherstellung der Zuverlässigkeit, der sogenannten Selbstreinigung, waren bisher aber nur von der nationalen Rechtsprechung konturiert und nicht einheitlich gehandhabt worden. Art. 55 Nr. 4 normiert nun die Voraussetzungen, die ein Unternehmen erfüllen muss, um die Zuverlässigkeit wiederherzustellen. Obgleich dies zu mehr Rechtsklarheit führt, wird begründet kritisiert, dass künftig Vergaberechtsverstöße kalkulierbar werden.

Sektorenrichtlinie
Der finale Kompromisstext für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vergabe von Aufträgen im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie Postdienste (2011/0439 [COD]) enthält ebenfalls einige erwähnenswerte Unterschiede zum bisher geltenden Recht und zum klassischen Vergaberecht. Neben drei grundlegenden Verfahren – dem offenen, dem nichtoffenen und dem Verhandlungsverfahren mit Aufruf zum Wettbewerb – wird auch in die Sektorenrichtlinie die Innovationspartnerschaft eingeführt (Art. 39, Art. 43). Im Gegensatz zum bisherigen Recht soll die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen künftig auch im Bereich der Sektoren begrenzt werden. Zwar ist der aktuelle Entwurf mit einer Regelbegrenzung auf acht Jahre liberaler als es noch eine frühere Fassung war (vier Jahre), gleichzeitig soll aber nur in Ausnahmefällen eine längere Laufzeit möglich sein. Zudem ist vorgesehen, dass die Kommunikation in weiten Teilen ausschließlich elektronisch stattfinden soll („e-Submission“). Letzteres hatte sich allerdings bereits in der Vergangenheit nicht durchsetzen lassen können.

Konzessionsrichtlinie
Die „Konzessionsrichtlinie“ (Richtlinie über die Konzessionsvergabe, 2011/0437 [COD]), die eigentlich in der guten Absicht entstand, einen einheitlichen Rechtsrahmen für Konzessionsvergaben aufzustellen, stand bis zuletzt in der öffentlichen Kritik. Dreh- und Angelpunkt der Kritik war die vermeintliche Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Obgleich die Kommission mehrfach betonte, dass es ihr nicht darum ginge, die Wasserversorgung zu privatisieren, hatte die Bürgerinitiative „right2water“ öffentlich protestiert. Im Juni 2013 wurde der (Trink-)Wassersektor schließlich unter dem Druck der Öffentlichkeit aus der Konzessionsrichtlinie herausgenommen. Der aktuelle Kompromissvorschlag enthält mit Art. 9a eine ausdrückliche Anwendungsausnahme für den Bereich der Trinkwasserversorgung.Durch die Normierung der Konzessionsvergabe wurde zunächst im Wesentlichen die Rechtsprechung des EuGH zum Vorliegen einer Konzession, insbesondere zu dem bisher schwer umgrenzbaren Begriff des „wesentlichen Betriebsrisikos“, das zur Abgrenzung zwischen einem öffentlichen Auftrag im Sinne des Vergaberechts und einer (nicht den Vergaberichtlinien unterliegenden) Konzession herangezogen wird, umgesetzt (Art. 2 Abs. 2).

„Ob diese Reform allerdings das langgehegte Ziel
von mehr Flexibilität und weniger Bürokratie
bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu

verwirklichen vermag, bleibt abzuwarten“.

Die Richtlinie soll bei Bau- und Dienstleistungskonzessionen ab Erreichen des in Art. 6 Nr. 1 niedergelegten Schwellenwerts (= 5.000.000 Euro) gelten. Neben allgemeinen Verfahrensgrundsätzen zur Sicherung von Transparenz und Gleichbehandlung enthält der Richtlinienentwurf insbesondere auch Vorschriften für die Konzessionsvergabe an verbundene Unternehmen bzw. zur Inhouse-Vergabe. Die Voraussetzungen der Inhouse-Vergabe, die deshalb für öffentliche Auftraggeber interessant sind, weil bei deren Vorliegen das Vergaberecht in Ermangelung eines Vertragspartners nicht anzuwenden ist, sollten durch die Richtlinie abgebildet werden (Art. 11). Obwohl dieses Vorhaben durchaus begrüßenswert ist, zeigt sich ein systemimmanenter Nachteil darin, dass die jüngst ergangene Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.11.2012, Rs. C-182/11 und C-183-11 – „Econord“) nicht berücksichtigt wird.

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Dr. Corina Jürschik
Rechtsanwältin

Haver & Mailänder Rechtsanwälte
eMail: cj@haver-mailaender.de
www.haver-mailaender.de

 

Fazit
Einige Neuerungen durch das Richtlinienpaket der Kommission sind durchaus begrüßenswert. Besonders die Normierung von bisher nur von der Rechtsprechung des EuGH geprägten Komplexen führt künftig zu mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Ob diese Reform allerdings das langgehegte Ziel von mehr Flexibilität und weniger Bürokratie bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu verwirklichen vermag, bleibt abzuwarten.

 

 

  Quelle: Von Dr. Corina Jürschik


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