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Schweden diskutiert an Problemen vorbei

05.03.2021

In Schweden wird an vielen Problemen vorbereigeredet, meint unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet. Das gilt unter anderem für die Coronapandemie als auch für die generelle Lage der Wirtschaft.

Vielerorts in Deutschland wird der schwedische Weg in der Coronapandemie noch immer mit allerhand Respekt betrachtet. Hauptgrund hierfür ist die traditionelle Loyalität der Schweden zu politischen und behördlichen Entscheidungsträgern. Das muss jedoch nicht immer so bleiben – Loyalität muss man sich verdienen. In Deutschland bröckelt sie derzeit ab.

Allerdings kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass in Schweden derzeit an etlichen Problemen erheblich vorbeigeredet wird. Dies gilt sowohl für Corona als auch für die Wirtschaft. „Erlaubt ist, was gefällt“ – diese Worte aus Goethes Torquato Tasso scheinen in diesen Tagen in vielen Debatten gang und gäbe zu sein. Nicht immer wird genau berichtet und analysiert.

Aktionismus ohne Strategie
Für mich es nach wie vor ein Rätsel, warum die schlechten Coronazahlen in Schweden so wenig konkret diskutiert werden. Sorgen öffentlicher Entscheidungsträger werden verbal formuliert, statt mit Zahlen untermauert zu werden. Transparenz gehört nicht zu den Stärken der schwedischen Coronakommunikation. Daher verwundert es nicht, dass kaum tiefgründige Corona-Diskussionen angefacht werden und stattdessen an den tatsächlichen Problemen vorbeigeredet wird.

Dies lässt sich mit den Inzidenzzahlen (Neuinfektionen per 100.000 Einwohner mit gleitendem 7-Tage-Durchschnitt) verdeutlichen, über die Schwedens Bevölkerung kaum etwas weiß. Folgende Tabelle unterstreicht Schwedens schwache Position im internationalen Vergleich
(Quelle: Corona in Zahlen, 27.02.2021).

Inzidenz in ausgewählten Ländern, pro 100 000 Einwohner, mit gleitendem 7-Tage-Durchschnitt:

Tschechien 726,7

Israel 303,5

Schweden 258,9

Frankreich 193,7

Niederlande 186,7

Italien 178,7

Polen 162,7

Österreich 146,6

USA 145,1

Spanien 118,6

Großbritannien 100,2

Portugal 78,5

Deutschland 63,8

Auch wenn Ländervergleiche bei Corona hinken können, bleibt die Schlussfolgerung, dass sich die schwedischen Inzidenzzahl auch im Vergleich zu Frankreich, Spanien, Großbritannien und sogar den USA sehr ungünstig ausnehmen. Der Regierung und der obersten Gesundheitsbehörde dürfte die schwedische Misere wohl bekannt sein. Daher kommen wohl die neuerdings recht häufigen – meist kleineren – Verschärfungen von Restriktionen.

„Es besteht die Gefahr, dass Schweden sich auf einen Coronakurs mit ständigem Hin und Her einpendelt.“

Inzwischen besteht sogar die Gefahr, dass sich auch Schweden auf einen Coronakurs mit ständigem Hin und Her einpendelt. Das wäre nicht gut für eine breite Erholung der schwedischen Wirtschaft. Dieses Szenario – mehr als ein Szenario ist es bislang nicht – sollte weiterhin im Auge behalten werden.

Eins steht fest: Aktionismus kann keine Antwort auf die akute Coronakrise sein. Schweden braucht dringend eine glaubwürdige offizielle Coronastrategie, am liebsten eine nicht zu starre.

Auf der Suche nach breitem fundierten Aufschwung
Schwedens Industrie geht es allgemein recht gut, manchen Unternehmen sogar sehr gut. Nicht zuletzt die schwedische Exportwirtschaft strahlt derzeit gute Laune aus. Dies wird durch die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für das vierte Quartal statistisch bestätigt – nach guter Erholung schon im dritten Quartal.

Insgesamt stiegen die schwedischen Exporte (brutto) im vierten Quartal 2020 um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Dabei erhöhte sich die Warenausfuhr zwar nur um 2,2 Prozent, der Export von Dienstleistungen allerdings um 10,6 Prozent. Das gute Resultat für den Dienstleistungsexport rührt allerdings in erster Linie vom starken Anstieg des Konsums von Ausländern in Schweden her.

Schwedens Investitionen stagnierten jedoch gegen Ende des vergangenen Jahres. Dabei legten die Investitionen der Industrie deutlich und die öffentlichen Investitionen etwas zu. Die Investitionen des Dienstleistungsgewerbes gingen hingegen im letzten Quartal wieder deutlich zurück, die Bauinvestitionen leicht.

Zudem hielten sich Schwedens Haushalte im Coronajahr 2020 mit ihrem Konsum spürbar zurück. Im vierten Quartal wurde ein weiteres Minus von 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal verzeichnet. Der Einzelhandel meldete allerdings einige Lichtblicke für den Januar, die sich aber noch sehr ungleich auf diese wichtige Sparte der Volkswirtschaft verteilen.

Viele Probleme kaum angesprochen
Offensichtlich gibt es etliche positive Entwicklungen in Schwedens Wirtschaft. Dies gilt vor allem für die Industrie, die sich auch beim Export gut behauptet. Insgesamt haben sich die Investitionen zuletzt ordentlich entwickelt, allerdings primär seitens der Industrie. Bedauerlicherweise hinkt der private Konsum nach wie vor hinterher.

Selbstverständlich sollte man sich über die gute durchschnittliche Geschäftslage der schwedischen Industrie freuen. Wenn man aber auch alle negativen oder skeptischen Lageberichte in der schwedischen Wirtschaft betrachtet, erscheinen mir viele positive Analysen und Überschriften immer wieder zu generell oder einseitig – und somit manchmal irreführend. Deutsche Unternehmen sollten daher ihre eigenen Schwedenanalysen sehr gründlich auf Mikroebene durchführen.

„Deutsche Unternehmen sollten ihre eigenen Schwedenanalysen sehr gründlich auf Mikroebene durchführen.“

Gründlichkeit wird auch für die Beurteilung der Covid-19-Lage gefordert. Speziell hier wird noch immer an vielen Problemen vorbeigeredet. Konkrete Strategien werden von den schwedischen Politikern und Behörden nur selten angesprochen oder gar vorgestellt. Das Restriktionsarsenal hierzulande gleicht immer mehr dem in mancher Hinsicht missglückten deutschen Herbst- und Wintermodell.

Schweden sollte stattdessen aus den deutschen Misserfolgen der letzten Zeit lernen, aber auch aus den unbürokratischen Modellen wie in Rostock und Tübingen. Städte und Regionen können vieles selbst besser machen – oft mit positiven psychologischen Rückwirkungen.

  Quelle: Deutsch-Schwedischen Handelskammer


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