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Schwedischer Ausschreibungsmarkt bietet deutschen Unternehmen großes Potenzial

04.04.2016

Stockholm wirbt um ausländische Baupartner / Preis ist das dominierende Vergabekriterium

Von Heiko Steinacher
Die öffentliche Hand in Schweden veröffentlicht jedes Jahr rund 20.000 Ausschreibungen im Wert von umgerechnet 55 Mrd. bis 65 Mrd. Euro. Der vom Volumen her größte Auftraggeber ist die nationale Verkehrsbehörde Trafikverket. „Der Preis ist bei den meisten Vergabeentscheidungen ein sehr wichtiges, wenn auch nicht das allein entscheidende Kriterium“, sagt Stefan Holm, Experte für Wirtschaftspolitik beim Arbeitgeberverband der schwedischen Dienstleistungsunternehmen Almega (www.almega.se).

Schwedens Baubranche boomt: Die öffentliche Hand investierte im vergangenen Jahr stark in den Ausbau des Schienennetzes. Ferner nimmt der Wohnungsbau an Fahrt auf, vor allem in den Ballungszentren Stockholm und Göteborg. Der größte Auftraggeber ist die nationale Verkehrsbehörde Trafikverket. Sie erwirbt für Straßen- und Bahnprojekte alljährlich Produkte und Leistungen im Wert von etwa 40 Mrd. Schwedischen Kronen (skr; circa 4,3 Mrd. Euro; 1 Euro = 9,3535 skr im Jahresdurchschnitt 2015).

Deutsches Engagement im Straßen- und Tiefbau
Um den internationalen Wettbewerb zu erhöhen, hatte Trafikverket auf der internationalen Schienenverkehrsmesse Elmia Nordic Rail in Jönköping 2013 ein Treffen mit potenziellen Zulieferern für große Infrastrukturprojekte organisiert. Mehrere ausländische Bieter sind seither bei Schienenprojekten zum Zuge gekommen. Auch deutsche Unternehmen engagieren sich zunehmend im schwedischen Straßen- und Tiefbau. So sind Züblin am Ausbau der Stockholmer Stadtbahn (Citybanan; 6 km langer S-Bahn-Tunnel zwischen Tomteboda im Stadtteil Solna und dem Süden der Stadt) und Bilfinger Berger am Bau der neuen Brücke über den Svinesund zwischen Schweden und Norwegen beteiligt.

Insbesondere im Hochbau kritisieren internationale Anbieter schon seit vielen Jahren, dass oft nur nordische Großunternehmen zum Zuge kommen, die über eigene Einkaufsorganisationen verfügen und ihre Produkte auch im Ausland beziehen. Das mache es für ausländische Firmen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), schwer, ebenfalls ins Geschäft zu kommen. Für frischen Wind sorgt nun aber die Stadtverwaltung Stockholm. Angesichts ihrer gewaltigen Ausbaupläne in den nächsten Jahren organisiert sie im Ausland Informationstreffen, um neue Baupartner zu gewinnen.

Große Wohnungsbauprojekte in der Hauptstadt
Zu den größten Wohnungsbauprojekten in Schwedens Hauptstadt zählen Hagastaden (unter anderem etwa 30.000 neue Wohnungen), Stockholm Royal Seaport (Umbau eines alten Industrie- und Containerhafens; bis zum Jahr 2030 sind bis zu 10.000 Wohnungen geplant) und Arstafältet (6.000 neue Wohnungen). Vor allem Fachwissen zum Thema energieeffizientes Bauen sei gefragt, betonte Jesper Ackinger, stellvertretender Geschäftsführer der Förderagentur Stockholm Business Region, in einem Radiobericht der öffentlich-rechtlichen Hörfunkanstalt Sveriges Radio.

Bei der Vergabe von Aufträgen in Schweden ist der Preis meist das dominierende Entscheidungskriterium. Doch diese starke Fokussierung auf den Preis ist umstritten. Insbesondere Beratungsunternehmen, unter anderem in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und Architekturdienstleistungen, beklagen sich über den starken Preisdruck. Es sei unmöglich, zu den gebotenen, ihrer Meinung nach zu niedrigen, Preisen gute Qualität zu liefern.

Auch im Bereich Reinigung und Gebäudemanagement ist der Preis der dominierende Faktor bei Vergabeentscheidungen, meint Stefan Holm. Eine Untersuchung von Almega im Jahr 2013 hat ergeben, dass bei knapp 94 % der Ausschreibungen speziell in diesem Bereich der Preis das wichtigste Vergabekriterium war, auch in Fällen, wo Unternehmen, die preislich etwas über dem Minimalangebot lagen, soziale und ökologische Faktoren geltend machen konnten.

Es gibt aber auch Vergabesituationen, in denen die Käufer Preiswettbewerb ausschließen wollen. Dann legt der Käufer einen Preis fest und bittet potenzielle Anbieter um Angebote, was sie zu diesem Preis liefern können. Das ist gängige Praxis im Bausektor. Käufer wollen dann kein Preisdumping seitens der Anbieter riskieren, damit Auftragnehmer später während der Bauphase nicht insolvent werden, wenn sich Parameter ändern und herausstellt, dass Preise in den Angeboten zu knapp bemessen waren.

Eine Sonderrolle spielt das Gesundheitswesen, das nicht dem Vergaberecht unterliegt. Hier haben Auftraggeber Entscheidungsfreiheiten. Bei Gesundheits- und Sozialdiensten entscheidet die Qualität, es gelten feste Stundenpreise.

Neue EU-Vergaberichtlinien werden wohl erst 2017 in nationales Recht umgesetzt
Mit der Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien werden voraussichtlich Anfang des Jahres 2017 in Schweden drei neue Ausschreibungsgesetze in Kraft treten. Neben vielen Änderungen grundsätzlicher Art sind einige auch konkret in der Praxis öffentlicher Auftraggeber wichtig (unter anderem dynamische Einkaufssysteme, mehr Möglichkeiten für Verhandlungen, stärkere Regulierung von Konzessionen). Allerdings läuft die Frist zur Implementierung in nationales Recht bereits Ende April 2016 ab. Danach erlangen die Richtlinien unmittelbare Wirkung. Private Dritte, insbesondere sich benachteiligt fühlende Bieter, können sich dann vor schwedischen Gerichten und Behörden auf Richtlinienvorschriften berufen, die sie begünstigen.

Darüber hinaus erarbeitet die Regierung in Stockholm eine nationale Beschaffungsstrategie, die dazu beitragen soll, soziale und ökologische Innovationsziele des Landes besser zu erreichen. So wird unter anderem darüber diskutiert, ob sich öffentliche Ausschreibungen künftig stärker auf die Funktion von Produkten beziehen sollen, anstatt konkrete Waren und Dienstleistungen zu benennen. Statt „Lärmschutzwand“ könnte eine kommunale Beschaffungsmaßnahme auch „Reduzierung der Anwohner-Lärmbelastung auf maximal x Dezibel“ lauten, wodurch sich neue Chancen für technologische Innovationen eröffnen können.

Informationen über Ausschreibungen in Schweden stellen zahlreiche Online-Plattformen und Dienstleister bereit. In einem Podcast (www.almega.se/politik-och-ekonomi/upphandlingar/upphandlingspodden; auf Schwedisch) geben Stefan Holm und Lotta Ohm von Almega praktische Tipps für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen. Germany Trade and Invest bietet als Partner des European Tender Information System (ETIS) EU-Binnenmarktausschreibungen unter- und oberhalb der nach den EU-Vergaberichtlinien geltenden Schwellenwerte an.

  Quelle: Germany Trade & Invest (GTAI)


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