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Sittenwidrig überhöhte Einheitspreise 1.Teil

20.02.2014

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In Bauunternehmerkreisen hat in den letzten Jahren die Rechtsprechung des BGH zu sittenwidrig überhöhten Einheitspreisen für erhebliches Stirnrunzeln gesorgt. Der nachfolgende Beitrag erläutert diese Rechtsprechung des BGH und unterzieht sie einer kritischen Würdigung.

In drei Entscheidungen, datierend aus den Jahren 2008 und 2013, hat der BGH festgestellt, dass der in einem Bauvertrag unter Einbeziehung der VOB/B neu zu vereinbarende Einheitspreis für Mehrmengen sittenwidrig und damit nichtig sein kann, wenn er in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zu der zu erbringenden Bauleistung steht. Im ersten Teil dieses Beitrages werden zunächst die drei entschiedenen Fälle dargestellt und analysiert:

Fall 1
(BGH, Urteil vom 18.12.2008, Az.: VII ZR 201/06): AG, ein öffentlicher Auftraggeber, beauftragt im Jahre 1999 AN mit der Herstellung eines Regenrückhaltebeckens zu einem Gesamtpreis von ca. 48,6 Mio. DM. Die VOB/B 1998 ist in den Vertrag einbezogen. In der Ausschreibung werden in einer Position 200 kg Betonstahl und in einer weiteren Position 100 kg Betonstahlmatten ausgeschrieben. Beides bietet AN einschließlich Biegen und Verlegen für 2.210,00 DM / kg (!) an.

Tatsächlich ergibt sich ein Bedarf von rund 1.430 kg Betonstahl und rund 300 kg Betonstahlmatten. Für die Mehrmengen, die über 110 % der ausgeschriebenen Mengen hinausgehen, berechnet AN unter Berücksichtigung der Mehrmenge einen Preis von 2.045,15 DM / kg und macht mit seiner Klage rund 1,7 Mio. € an zusätzlicher Vergütung geltend. Ein Gutachter stellt fest, dass der ortsübliche Preis für 1 kg Betonstahl bei 2,47 DM gelegen hätte.

Anders als noch das OLG gibt der BGH der Klage nicht statt, sondern hebt das Urteil auf und verweist die Sache an das OLG zurück. Dabei lässt der BGH zunächst offen, ob es sich hier um einen Fall des § 2 Nr. 3 Abs. 2 (Mengenüberschreitung) oder des § 2 Nr. 5 (Änderung des Bauentwurfs) der seinerzeit geltenden VOB/B 1998 handelt. In beiden Fällen sei auf Verlangen auf der Grundlage des jeweils vereinbarten Einheitspreises ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten zu vereinbaren, sodass sich der Anspruch auf Mehrvergütung unmittelbar aus den Preisermittlungsregelungen der VOB/B ergibt. Danach sind die vereinbarten Preise unter Berücksichtigung von Mehr- und Minderkosten fortzuschreiben.

Von diesem Ausgangspunkt setzt der BGH nun gleichsam zum „großen Wurf“ an und urteilt, dass die dieser Preisfortschreibung zugrundeliegende Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig ist, wenn der gemäß § 2 Nr. 3 Abs. 2 oder § 2 Nr. 5 VOB/B 1998 neu zu vereinbarende Einheitspreis für die Mehrmengen in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur geschuldeten Bauleistung steht. Für die Feststellung eines solchen wucherähnlichen Missverhältnisses komme es zum einen objektiv auf die Auffälligkeit des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung an, zum anderen aber auch - subjektiv - auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten (hier also des AN). Da sich diese jedoch häufig nicht direkt nachweisen lasse, müsse sie - so der BGH - aus den objektiven Umständen (also dem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung) geschlossen werden. Ist diese Divergenz groß genug, so spricht nach Auffassung des BGH eine Vermutung für das Vorliegen eines solchen verwerflichen Gewinnstrebens. Mit anderen Worten: Nach Auffassung des BGH lässt das krasse Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ohne weiteres auf ein verwerfliches Gewinnstreben des AN und damit auf die Sittenwidrigkeit des (fortgeschriebenen) Preises schließen.

So lag es nach Auffassung des BGH auch hier. Nach den Feststellungen des Gutachters war der übliche Preis für 1 kg Betonstahl 2,47 DM. AN verlangte jedoch auf der Grundlage der Preisfortschreibung 2.045,15 DM pro kg, also das 894-fache! Eine Überhöhung des Preises um 89.400 % stelle aber ein auffälliges, wucherähnliches Missverhältnis dar. Der - hier durchaus nahe liegenden - Vermutung, dass AN schlicht und einfach Kilogramm und Tonnen verwechselt hatte, ging der BGH dabei nicht nach, denn zum einen hatten hierfür weder das Landgericht noch das OLG irgendwelche Tatsachen festgestellt, zum anderen stützte AN ja seine Zahlungsklage gerade auf den angegebenen Preis und behauptete nicht etwa, er habe sich geirrt. Im Hinblick auf das krasse Missverhältnis zwischen Leistung und Preis bejaht der BGH sodann die Vermutung eines verwerflichen Gewinnstrebens des AN.

Weiter setzt sich der BGH mit der Frage auseinander, ob diese Vermutung dadurch entkräftet wird, dass AN in anderen Positionen unüblich niedrige Einheitspreise eingesetzt hat. Dies verneint der BGH mit dem Argument, ein derartiges, spekulatives Verhalten des AN sei nicht schützenswert. Die Rechtsordnung, so der BGH, könne kein Verständnis dafür aufbringen, dass ein Unternehmer aufgrund eines möglichen Ausschreibungsfehlers einen völlig unangemessenen Gewinn in einer Position erlangt, auch wenn er durch diesen Gewinn Verluste an anderer Stelle ausgleicht.

Mit dieser Argumentation verwirft der BGH den fortgeschriebenen Einheitspreis als sittenwidrig und damit als von Anfang an nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Da es (wegen der Nichtigkeit) nunmehr an einer Preisvereinbarung für die Mehrmengen fehlt, wendet der BGH § 632 Abs. 2 BGB an. Danach schuldet der Auftraggeber die übliche Vergütung, wenn keine Preisvereinbarung vorliegt. Konsequenterweise lässt der BGH in dieser Entscheidung (noch) offen, wie zu entscheiden wäre, wenn sich der Auftragnehmer - anders als hier AN - darauf beruft, er habe sich bei der Ausfüllung des Leistungsverzeichnisses lediglich geirrt.

Fall 2
(BGH, Urteil vom 07.03.2013, Az.: VII ZR 68/10): Wer nach dem oben geschilderten Urteil aus dem Jahre 2008 noch der Meinung gewesen sein sollte, es handele sich um eine Einzelfallentscheidung, deren Ergebnis vor allem der exorbitanten Differenz zwischen dem üblichen und dem verlangten Preis geschuldet sei, wurde spätestens durch die nachfolgend dargestellte Entscheidung aus dem Jahre 2013 eines besseren belehrt: In diesem Fall führte AN bei der Sanierung eines Krankenhauses Trockenbauarbeiten durch. In einer Position des Einheitspreisvertrages, in den die VOB/B einbezogen war, waren unter anderem 50 Wanddurchführungen vorgesehen, die AN pro Stück mit einem Preis von 67,99 € angeboten hatte. Tatsächlich wurden nicht 50, sondern 4.725 Durchdringungen - wenn auch in etwas geringerer Größe - erforderlich. AN kürzt den für die 50 Wanddurchführungen vereinbarten Einheitspreis geringfügig auf 65,50 € und verlangt diesen für jede der 4.725 unstreitig hergestellten Wanddurchführungen, insgesamt also eine Mehrvergütung von fast 356.000,00 €. Die gesamte Schlussrechnungssumme beläuft sich damit auf etwas mehr als 1,1 Mio. €. Bereits in den Vorinstanzen stellte ein Gutachter fest, dass der ortsübliche Preis für Wanddurchführungen dieser Art 9,64 € brutto beträgt.

In dieser Entscheidung festigt und erweitert der BGH seine Rechtsprechung aus dem Jahre 2008. Zunächst einmal erstreckt er diese auch auf Fälle des § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B (zusätzliche Leistungen). Diese sieht der BGH hier als gegeben an, weil die - etwas kleineren - Durchführungen im Vertrag nicht vorgesehen und daher zusätzliche Leistungen waren. Wieder urteilt der BGH, dass die der Preisbildung (hier nach § 2 Abs. 6 VOB/B) zugrundeliegende Vereinbarung sittenwidrig und daher nichtig sein kann, wenn die Vergütung in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur zusätzlichen Leistung steht, soweit deren Preis - wie in diesem Fall nach § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B - fortzuschreiben ist. Ein solches Missverhältnis nimmt der BGH hier bereits dann an, wenn die Vergütung nahezu das Achtfache des ortsüblichen und angemessenen Preises (9,64 €) beträgt. Auch hier vermutet der BGH sodann das sittlich verwerfliche Gewinnstreben des Auftragnehmers im Hinblick auf die objektive Preisüberhöhung.

In dieser Entscheidung zieht der BGH sodann allerdings eine weitere Grenze ein, die sich in der zuvor besprochenen Entscheidung nicht findet: Zusätzlich verlangt der BGH nämlich nun, dass der über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut gesehen als auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in einer Weise erheblich ist, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann. Nur dann werde die sittlich verwerfliche Gesinnung des AN vermutet. Der Sache nach handelt es sich bei dieser zusätzlichen Voraussetzung um eine Bagatellgrenze. Ist die Überhöhung sowohl in Bezug auf die ausgeschriebene Position als auch im Verhältnis zum Schlussrechnungspreis für die gesamte Leistung nicht erheblich, so ist sie auch nicht sittenwidrig und damit nicht nichtig. Hätte also etwa AN nicht 4.725, sondern nur 100 Durchführungen zusätzlich herstellen müssen, so wäre der dafür verlangte (objektiv im Verhältnis zum üblichen Preis überhöhte) Preis wohl nach Auffassung des BGH nicht sittenwidrig gewesen, weil die Überhöhung im Verhältnis zum Gesamtpreis nicht ins Gewicht fiele.

Schließlich entscheidet der BGH auch hier wiederum, dass an die Stelle der nichtigen Preisvereinbarung für die fortgeschriebene Leistung die übliche Vergütung gemäß § 632 Abs. 2 BGB tritt, der AG hier also für die zusätzlichen Durchdringungen 9,64 € pro Stück schuldet.

Fall 3
(BGH, Urteil vom 14.03.2013, Az.: VII ZR 116/12): Nur eine Woche später entscheidet der BGH erneut zu dieser Frage. Auch hier ging es um Trockenbauarbeiten, die AN für AG im Rahmen einer Modernisierung und Erweiterung eines Berufsbildungszentrums durchführt. Auch hier ist in den Vertrag die VOB/B einbezogen. In einer bestimmten Position des Leistungsverzeichnisses waren 16 Stück T-Verbindungen für Trockenbauwände ausgeschrieben, die AN zum Stückpreis von 975,35 € anbot, während der übliche Preis nach Aussage eines beauftragten Gutachters 41,81 € pro Stück betrug. Anders als in den vorangegangenen Fällen verteidigt sich AN gegen den Vorwurf, er habe schon bei Angebotserstellung in sittenwidriger Weise auf die Mengenmehrung spekuliert, damit, er habe einen Fehler gemacht. Im Rahmen der Dateneingabe bei der Angebotserstellung sei ihm eine Dezimalstelle „verrutscht“.

Auch mit dieser Verteidigung hat AN jedoch keinen Erfolg. Wie schon 2008 lässt der BGH zunächst die Frage offen, ob es sich hier um einen Fall des § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B oder des § 2 Nr. 5 VOBB in der seinerzeit geltenden Fassung von 2002 handelt. In beiden Fällen sei die der Preisbildung für die Mehrmengen zugrundeliegende Vereinbarung sittenwidrig und nichtig, wenn der neu zu vereinbarende Einheitspreis für die Mehrmengen in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zu der dafür zu erbringenden Leistung steht. Der hier auf Grund der Preisfortschreibung verlangte Preis beträgt etwa das 22-fache des gutachterlich festgestellten, ortsüblichen Preises. Dies hält der BGH - nach den beiden vorangegangenen Entscheidungen wenig erstaunlich - für objektiv wucherähnlich. Weiter prüft der BGH die von ihm in der vorangegangenen Entscheidung eingeführte Bagatellgrenze. Die absolute Überschreitung des Preises machte hier rund 92.000,00 € und damit 22 % des ursprünglichen Angebotspreises von rund 430.000 € aus. Dies hält der BGH sowohl in absoluten Zahlen als auch in Bezug auf den Gesamtpreis der Leistung für hinreichend erheblich.

Darüber hinaus nimmt der BGH hier nochmals ausdrücklich zu einem weiteren, interessanten Aspekt Stellung: Entgegen dem Urteil des OLG könne AN für die ursprünglich geschuldeten 16 Stück T-Verbindungen vereinbarten (überhöhten) Einheitspreis verlangen. Seine Rechtsprechung zum verwerflichen Gewinnstreben beziehe sich nämlich nur auf die Fortschreibung des Preises für Mehrmengen, geänderte oder zusätzliche Leistungen. Der für die ursprünglich ausgeschriebenen Mengen vereinbarte, überhöhte Einheitspreis sei hingegen nur dann sittenwidrig, wenn er aus sich selbst heraus bereits in einem objektiv auffälligen Missverhältnis zur Gesamtsumme des Vertragspreises stehe.

Schließlich setzt sich der BGH in dieser Entscheidung auch mit der Verteidigung des AN auseinander, die Überhöhung sei nicht auf ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben, sondern vielmehr auf einen schlichten Rechenfehler zurückzuführen und urteilt hierzu folgendermaßen: Selbst wenn AN die Vermutung für ein sittenwidriges Gewinnstreben durch den Nachweis entkräften könne, ihm sei bei der Preisbildung zu seinen Gunsten ein Berechnungsfehler unterlaufen, so verstoße es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er nunmehr auf dieser Basis den versehentlich falsch kalkulierten Preis für die Mehrmengen bzw. die geänderten oder zusätzlichen Leistungen verlange. Der Auftragnehmer würde nach Auffassung des BGH in diesem Fall seinen Berechnungsfehler, der zwar ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben ausschließt, in einer Weise nutzen, die ihm gleichwohl den überhöhten Preis „beschert“. Das aber sei mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, denn AN verhalte sich damit widersprüchlich.

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  Quelle: RA Michael Seitz


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