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Stellt eine Budgetüberschreitung stets einen Aufhebungsgrund dar?

01.02.2013

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 20. November 2012 – X ZR 108/10 – Folgendes entschieden:

Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen „deutlicher“ Überschreitung des vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung zugewiesen wird, die Aufhebung andererseits aber auch kein Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen erzielten Submissionsergebnisse sein darf.

Eine Gemeinde hatte Bauleistungen für eine Friedhofserweiterung öffentlich ausgeschrieben. Der (später klagende) Bieter A hatte ein Angebot mit einem Endpreis von 261.000 Euro abgegeben. Dieses Angebot war, nachdem die Gemeinde ein verspätet abgegebenes Angebot des Bieters B aus der Wertung nehmen musste, das preisgünstigste. Mit der Begründung, die Finanzierung sei nicht gesichert, hob die Gemeinde das Verfahren auf und ging mit identischem Leistungsverzeichnis (LV) zur Beschränkten Ausschreibung über, ohne Bieter A zu beteiligen. Letztlich erhielt Bieter B den Zuschlag mit einem Angebotspreis von 242.000 Euro. Bieter A machte darauf sein positives Interesse als Schaden gerichtlich geltend; gegen das abweisende Urteil des OLG legte er Revision beim BGH ein.

Der BGH hebt das OLG-Urteil auf. Bieter A stehe hier ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch zu. Dieser setze voraus, dass dem Bieter bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag hätte erteilt werden müssen und dass der ausgeschriebene bzw. ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag vergeben worden sei. Hier könne der A sein positives Interesse erstattet verlangen, da die Gemeinde das erste Vergabeverfahren nicht habe aufheben dürfen, da die Voraussetzungen des § 26 Nr. 1c VOB/A 2006 nicht vorgelegen hätten. Ein positives Interesse sei dann zu verneinen, wenn die Aufhebung aufgrund der Differenz zwischen der Kostenschätzung des Auftraggebers und den Angebotspreisen der ersten Ausschreibung nach § 26 Nr. 1c VOB/A 2006 rechtsmäßig gewesen sei. Dies sei nur dann der Fall, wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene wirklichkeitsnahe Kostenschätzung der Vergabestelle vertretbar erscheine und die abgegebenen Angebote deutlich darüber lägen. Auch müssten Schätzungsgegenstand und Ausschreibungsinhalt deckungsgleich sein. Das Ausschreibungsergebnis müsse in der Regel ganz beträchtlich über dem Schätzungsergebnis liegen, um eine Aufhebung zu rechtfertigen. Allein die Ungewissheit der Finanzierung wegen der Überschreitung des Budgets stelle für sich keine Rechtfertigung der Aufhebung dar, wenn die fehlende Finanzierung auf Fehlern des Auftraggebers bei der Ermittlung des Finanzierungsbedarfs und der daran anschließenden Einwerbung der benötigten Mittel zurückzuführen sei.

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Anmerkung:

Der BGH stellt mit der Entscheidung fest, dass eine Aufhebung einer Ausschreibung nicht schon dann gerechtfertigt ist, wenn das niedrigste Angebot die Kostenschätzung übersteigt. Allein die Aufhebung eines Verfahrens mit dem Ziel, durch eine Beschränkte Ausschreibung oder Freihändige Vergabe einen besseren Preis zu erzielen, ist regelmäßig rechtswidrig, auch bei vorheriger Überschreitung der Kostenschätzung. Nur wenn die Kostenschätzung nachweislich realistisch war und dennoch von den abgegebenen Angeboten drastisch (ca. 30 Prozent) überschritten wird, kommt eine rechtmäßige Aufhebung bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht in Betracht.

  Quelle: RA Michael Werner


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