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Stellungnahme des BDVR zur Modernisierung des Vergaberechts

18.09.2015

Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Vergaberecht!
Keine weitere Verlagerung öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten auf die Zivilgerichte
Rechtswegzuweisung im Vergaberecht überprüfen

von Dr. Robert Seegmüller
Das Bundeskabinett hat am 8. Juli 2015 den Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts verabschiedet. Der Gesetzentwurf regelt auch die gerichtliche Zuständigkeit und das gerichtliche Verfahren für Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Vergaberechts.

Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterrinnen (BDVR), in dem nahezu 80 % aller Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter organisiert sind, bedauert sehr, dass ihm nicht förmlich Gelegenheit gegeben wurde, zu dem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Der BDVR wendet sich entschieden gegen die im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts geplante weitere Verlagerung von Zuständigkeiten für öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten im Bereich der Konzessionsvergabe auf die Zivilgerichte. Er fordert, die Rechtswegzuweisung im Vergaberecht generell zu überdenken und die Zuständigkeit für Vergaberechtsstreitigkeiten insgesamt (wieder) in die Hände der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu geben.

I.

Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (VergRModG-E) hält nicht nur an der systematisch verfehlten Regelung des Vergabeverfahrens im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) fest. Er erstreckt dessen Regelungen darüber hinaus auch noch auf die Vergabe von Konzessionen (§§ 148 ff., 105 VergRModG-E). Der Regierungsentwurf regelt in §§ 97 - 154 VergRModG-E ein besonderes Verwaltungsverfahren, welches bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen oberhalb der EU-Schwellenwerte (§ 106 VergRModG-E) anzuwenden ist.

Bietern in Vergabeverfahren wird ein Anspruch gegen den die Vergabe durchführenden öffentlichen Auftraggeber auf Einhaltung der vergabeverfahrensrechtlichen Bestimmungen (§ 97 Abs. 6 VergRModG-E) eingeräumt. Der Gesetzentwurf regelt außerdem Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber (§§ 156 Abs. 3, 180, 181 VergRModG-E).

Regelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen unterhalb der EU-Schwellenwerte sieht der VergRModG-E dagegen nicht vor. Die Kontrolle der Einhaltung der vergabeverfahrensrechtlichen Bestimmungen und der Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vergabeermessens (oberhalb der EU-Schwellenwerte) obliegt den Vergabekammern und -senaten (§§ 156 Absatz 2, 159, 171 Abs. 3 VergRModG-E), die ein gesondert geregeltes Vergabeprozessrecht (§§ 157 - 182 VergRModG-E) anzuwenden haben. In „erster Instanz“ sind die Vergabekammern des Bundes für dem Bund zuzurechnende Auftragsvergaben und die Vergabekammern der Länder für diesen zuzurechnende Vergaben zuständig (§ 156 Abs. 1 VergRModG-E). § 171 Abs. 1 VergRModG-E sieht „in zweiter Instanz“ das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen Entscheidungen der Vergabekammern vor. Über vergaberechtliche sofortige Beschwerden entscheidet ein Vergabesenat bei dem Oberlandesgericht, welches für den Sitz der erstinstanzlich entscheidenden Vergabekammer zuständig ist
(§ 171 Abs. 3 VergRModG-E).

Unterhalb der unionsrechtlichen Schwellenwerte verzichtet der Regierungsentwurf auf eine gesonderte Regelung des (Primär-) Rechtsschutzverfahrens.

Eine Begründung für
• die Perpetuierung der systemwidrigen Rechtswegzuweisung an die Zivilgerichte für die bisher im GWB geregelten Vergabeverfahren,
• die weiterhin geplante systemwidrige Zuweisung auch von Rechtsstreitigkeiten über die Vergabe von Konzessionen und
• die fehlende Regelung des Rechtsschutzverfahrens für Vergaben unterhalb der unionsrechtlichen Schwellenwerte

enthält der Regierungsentwurf nicht.

II.

1. Für Streitigkeiten über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen ist allein die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges sachdienlich.

a) Die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen ist der Sache nach dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Die in §§ 97 ff. VergRModG-E geregelte Vergabe von Aufträgen und Konzessionen ist regelmäßig eng und untrennbar mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (in der Regel Daseinsvorsorge) verknüpft. Sie dient zudem regelmäßig auch der Wirtschaftsförderung und -lenkung. Staatliches Handeln unterliegt bei der Vergabe von Aufträgen und Konzessionen – anders als privates Handeln – gesteigerten Rechtmäßigkeitsanforderungen, die sich unter anderem aus den Grundrechten (z.B. Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip ergeben.

Dementsprechend stellt sich der Streit um die Rechtmäßigkeit der Vergabe eines öffentlichen Auftrags bzw. einer öffentlichen Konzession als eine verwaltungsrechtstypische Prozesskonstellation dar, in der Bürger mit staatlichen Stellen über die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben streiten. Dies gilt letztlich unabhängig davon, ob um Auftrags- und Konzessionsvergaben oberhalb oder unterhalb der Schwellenwerte gestritten wird.

b) Die vom Gesetzgeber gewählte Gestaltung des (Primär-)Rechtsschutzes im Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte ist zudem strukturell stark einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angenähert. Das gilt insbesondere für die Verfahrensgrundsätze und Entscheidungsmaßstäbe, die die gerichtsähnlich gestalteten Vergabekammern auf Bundes- oder Landesebene und die Vergabesenate anwenden.

Die Vergabekammern und -senate überprüfen, ob die vergabeverfahrensrechtlichen Bestimmungen eingehalten sind und ob der Antragsteller bei einem Verstoß in seinen Rechten verletzt ist (§§ 168, 178 VergRModG-E entspricht § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Im (gerichtlichen) Verfahren
• wenden sie den Untersuchungsgrundsatz (§ 163 Abs. 1 VergRModG-E, entspricht § 24 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) bzw. § 86 Abs. 1 VwGO) an,

• sind zur Gewährung umfassender Akteneinsicht (§ 165 VergRModG-E, entspricht § 29 VwVfG bzw. § 100 Abs. 1 VwGO) verpflichtet und

• haben die Möglichkeit und die Verpflichtung zur Beiladung dritter, möglicherweise von dem Rechtsstreit Betroffener (§ 162 VergRModG-E, entspricht § 13 Abs. 2 VwVfG bzw. § 65 VwGO).

Während des Verfahrens vor den Vergabekammern bzw. der sofortigen Beschwerde vor den Vergabesenaten darf der Zuschlag grundsätzlich nicht erteilt werden (aufschiebende Wirkung, §§ 169 Abs. 1, 173 VergRModG-E entspricht § 80 Abs. 1 VwGO). Davon kann unter bestimmten Voraussetzungen bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses abgewichen werden (§ 169 Abs. 2 VergRModG-E entspricht §§ 80 Abs. 2 Nr. 4, 80a VwGO).

Damit folgt das vergabegerichtliche Verfahren letztlich aufgrund der ihm zugrundeliegenden besonderen Situation des Streits zwischen Bürger und Staat genau denjenigen Verfahrensprinzipien, die sich auch für alle anderen Streitigkeiten zwischen Bürger und Staat, deren Entscheidung den Verwaltungsgerichten obliegt, herausgebildet haben.

2. Die Zuweisung vergaberechtlicher Streitigkeiten an die Zivilgerichte missachtet das Gebot der Rechtswegklarheit und Rechtssicherheit.

Das künftige Vergaberecht soll nach dem Anspruch, den der Gesetzentwurf an sich stellt (vgl. Eckpunkte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur Reform des Vergaberechts vom 7. Januar 2015, II. und III.), einfach und anwenderfreundlich sein. Es soll im Interesse aller Beteiligten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen die Gewähr für einen langfristig stabilen Rechtsrahmen bieten. Diesem Anspruch genügt das vorgeschlagene vergabegerichtliche Rechtsmittelsystem nicht.

Die gerichtliche Zuständigkeit für die Entscheidung von Streitigkeiten über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen bleibt auch nach dem VergRModG-E zersplittert (vgl. auch Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Diskussionspapier Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte vom 15. Juni 2010, S. 2 f.).

Bei Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen oberhalb der EU-Schwellenwerte sind im Anwendungsbereich des VergRModG-E die Vergabekammern und -senate zuständig. Unterhalb der Schwellenwerte sind nach der derzeitigen obergerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig die allgemeinen Spruchkörper der Zivilgerichte zuständig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - BVerwG 6 B 10.07 - BVerwGE 129, 9 ff.). Daneben ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit weiterhin im Rahmen von abgabenrechtlichen, subventionsrechtlichen und kommunalaufsichtsrechtlichen Streitigkeiten zur Inzidentprüfung vergaberechtlicher Vorschriften berufen. Schließlich steht die Zuständigkeit der Zivilgerichte in unterschwelligen Vergabeverfahren unter dem Vorbehalt, dass bei der Entscheidung über die öffentliche Auftragsvergabe keine gesetzliche Verpflichtung zu einer bevorzugten Berücksichtigung eines bestimmten Personenkreises zu beachten ist. Verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz können in diesem Bereich mithin Bieter erhalten, denen öffentlich-rechtliche Regelungen einen subjektiven Anspruch auf Berücksichtigung vermitteln. Auch bleiben die Verwaltungsgerichte für den Primärrechtsschutz zuständig, wenn ein Mitbewerber einen nur vergabeähnlichen Vorgang, wie etwa die Erteilung von Dienstleistungskonzessionen, unterbinden will.

Der Rechtsschutz gegen hoheitliches Handeln im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen ist mithin zu Lasten der Bieter ohne tragfähige sachliche Rechtfertigung zersplittert. Mit der Konzentration des Rechtsweges in vergaberechtlichen Streitigkeiten bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann divergierenden Rechtsprechungstendenzen im materiellen Vergaberecht entgegengewirkt, die Herausbildung gemeinsamer vergaberechtlicher Verfahrens- und Entscheidungsprinzipien gefördert und damit bestehende Rechtsunsicherheit beendet werden.

Die Verlagerung der zersplitterten Rechtswegzuständigkeiten von den ordentlichen Gerichten hin zur Verwaltungsgerichtsbarkeit gestaltet den Rechtsschutz gegenüber Verwaltungsbehörden effizienter und widerspruchsfrei und bietet der Exekutive eindeutige Handlungsorientierungen. Der derzeitige Verzicht auf einen effektiven Rechtsschutz fördert gerade nicht, wie von der Modernisierung des Vergaberechts gewünscht, die Transparenz der öffentlichen Verfahren.

3. Der vom Regierungsentwurf vorgeschlagene Weg der Beibehaltung und Vertiefung der systemwidrigen Verlagerung vergaberechtlicher Rechtswegzuständigkeiten auf die Zivilgerichte widerspricht den Beschlüssen der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 17./18. Juni 2015 und 11./12. Juni 2008, in denen sich diese ausdrücklich für eine Bereinigung des Systems der Rechtswegzuständigkeiten im Sinne einer sachgerechten Abgrenzung der Rechtswege ausgesprochen haben.

Auch das im Rahmen der Föderalismuskommission II entwickelte Eckpunktepapier zur Rechtswegzuständigkeit sowie die Abteilung Öffentliches Recht des 66. Deutschen Juristentages (2006) haben sich für eine Abgrenzung der Rechtswege anhand der materiell-rechtlichen Einordnung der jeweiligen Streitigkeiten ausgesprochen. Dies zugrundegelegt, kommt nur die Rückverlagerung aller vergaberechtlichen Streitigkeiten in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Betracht.

Ergänzend wird auf die grundlegende Stellungnahme des BDVR „Die Bereinigung der Rechtswegzuständigkeiten im Verwaltungsrecht“ aus April 2008 verwiesen, die im Internet-Auftritt des BDVR (www.bdvr.de) weiterhin nachzulesen ist.

  Quelle: Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen


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