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Tariftreue- und Vergabegesetz in Schleswig-Holstein seit 01.08.2013 in Kraft

01.10.2013

von Volker Romeike (Geschäftsführer der ABST SH e.V)

Ab 01. August 2013 gilt das Tariftreue- und Vergabegesetz Schleswig-Holstein (TTG). Nach dem Willen der Regierungskoalition soll dieses Gesetz die Sicherung von Tariftreue (u.a. Mindest-stundenentgelt 9,18 €), Sozialstandards (z.B. ILO-Kernarbeitsnormen) und eine nachhaltige Beschaffung (Energieeffizienz) sowie den fairen Wettbewerb (z.B. Wertung unangemessen niedriger Angebote) bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Schleswig-Holstein sicherstellen. Das TTG wird begleitet von einer Reihe von Rechtsverordnungen, die aber derzeit noch nicht bekannt sind. Vor diesem Hintergrund kann der nachfolgende Aufsatz lediglich auf die wesentlichen Inhalte des TTG eingehen; die noch offenen Fragen bei der Umsetzung in der Praxis dürften erst mit Vorlage der Rechtsverordnungen gelöst werden.

Für alle Vergabeverfahren, die vor dem 01. August begonnen (z.B. durch Bekanntmachung) wurden, gilt das TTG nicht – unabhängig davon, ob der Auftrag erst nach dem 01.08. erteilt werden soll. Die aus dem Konjunkturpaket II begründeten erhöhten Wertgrenzen zur Ableitung eines Ausschreibungsverfahrens bleiben bis auf weiteres bestehen. So können im Baubereich z.B. Aufträge bis 100.000 € freihändig, bis 1 Mio. € beschränkt ausgeschrieben werden. Das TTG ersetzt darüber hinaus auch die vergaberechtlichen §§ 14 und 15 des Mittelstandsförderungsgesetzes. Es bleibt also u.a. dabei, dass der Auftraggeber im Baubereich von den Bietern bei Angebotsabgabe eine „selbstgefertigte Zweitkopie“ fordern kann, der Auftraggeber hat dies allerdings bereits in der Vergabebekanntmachung deutlich zu fordern.

Die sog. „kommunale Familie“, also Kreise, Gemeinden und Gemeinde-verbände ist nunmehr in das Vergaberecht via TTG eingebunden: die Regelungen des TTG gelten auch für diese öffentlichen Auftraggeber.

Das Tariftreue- und Vergabegesetz sieht tiefgreifende Änderungen vor, von denen im Folgenden einige exemplarisch vorgestellt werden sollen:

- Verpflichtung auf Tariflöhne (AEntG) bzw. Mindestlohn von 9,18 € (§ 4 TTG)
- Regelungen zur umweltfreundlichen und ernergiesparenden Beschaffung (§ 17 TTG)
- Beachtung „sozialer Standards“ (z.B. ILO-Kernarbeitsnormen) (§ 18 TTG)
- Preisprüfung bei „Niedrig-Angeboten“ (§ 10 TTG)
- Kontrollrechte des Auftraggebers (§§ 11 und 15 TTG)
- Sanktionen und Ordnungswidrigkeiten bei Verstoß ( §§ 12 und 16 TTG)
- „Vergabesperre“ von bis zu drei Jahren durch Eintragung in ein gemeinsam mit Hamburg geplantes „Korruptionsregister“ (§ 13 TTG).

Das Tariftreuegesetz gilt grundsätzlich für alle öffentlichen Aufträge – unabhängig vom Auftragswert. Damit sind die Regelungen auch ergänzend bei den Verfahren anzuwenden, die nach den „EG-Teilen“ der VOL/A und der VOB/A oberhalb des EU-Schwellenwertes durchgeführt werden. Lediglich für Aufträge bis zu einem Auftragswert von 15.000 € gilt eine Bagatellgrenze: bis zu diesem Wert sind nur die allgemeinen Grundsätze (§ 3 TTG) und die Bestimmungen zum Tariflohn aus dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) anzuwenden; diese finden sich in § 4 Abs. 1 TTG. Ab 15.000 € gilt das TTG vollumfänglich.

Tariflöhne
Die tariflichen Regelungen des TTG (§ 4 TTG) sehen drei mögliche Konstellationen vor:
- Leistungen im Geltungsbereich des AEntG (z.B. Baugewerbe wie z.B. Dachdecker und Elektrobetriebe, aber auch Sicherheitsleistungen, Gebäudereinigung oder Pflegedienst). Hier muss der Bieter bei Angebotsabgabe durch schriftliche Erklärung und bei Ausführung des Auftrags seinen mit der Erbringung der Leistung befassten Beschäftigten mindestens das Mindest-arbeitsentgelt aus dem aktuellen Tarifvertrag des AEntG gewähren (§ 4 Abs. 1 TTG).
- Leistungen im Bereich ÖPNV/SPNV: In diesen Bereichen sind die für repräsentativ erklärten einschlägigen Tarifverträge verbindlich. Die repräsentativen Tarifverträge werden in einem im Wirtschaftsministerium eingerichteten Tarifregister verbindlich erfasst. Da dieses Register noch im Aufbau ist (Ende 2. Quartal 2014 ist der Einsatz zu erwarten), läuft die Vorschrift des TTG zunächst ins Leere (§ 4 Abs. 2 TTG).
- In allen anderen Bereichen hat der Auftragnehmer bereits bei Angebotsabgabe schriftlich zu erklären, dass er seinen mit der Ausführung der Leistung beschäftigten Personen ein Mindest-entgelt von 9,18 € brutto pro Stunde zahlt (§ 4 Abs. 3 TTG).

Das allgemeine Mindestentgelt von 9,18 € / Stunde ist immer nur dann hilfsweise zu zahlen, wenn es keine Mindestentgeltvorschriften aus den beiden vorgegangenen Absätzen gibt. Diese Mindestentgelte haben Vorrang und sind bei öffentlichen Aufträgen auch zu kalkulieren bzw. zu zahlen, wenn sie unterhalb der Grenze 9,18 € liegen. So beträgt z.B. das Mindestentgelt im Sicherheitsgewerbe nach AEntG 7,50 €.

Die in § 4 Abs. 4 TTG formulierte „für die Beschäftigten jeweils günstige Regelung“ war nach einer Mitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 31.07.13 „möglicherweise vom Gesetzgeber nicht gewollt. Eine Klarstellung soll im Rahmen der Evaluierung erfolgen.

Die o.a. Tarifregelungen gelten nur für die bei Angebotsabgabe ein-kalkulierten und bei Leistungserbringung beschäftigten Mitarbeiter. Die Mindestlohnverpflichtung von 9,18 € gilt nicht für Auszubildende, Praktikanten und (ungelernte) Hilfskräfte.

Wichtig für Bieter ist allerdings, dass die tariflichen Regelungen sich auch auf den Einsatz von Leiharbeitskräften und auf den Einsatz von Nachunternehmen beziehen. Die vom öffentlichen Auftraggeber bereits in der Bekanntmachung erwähnte Tarifbindung ist vom Bieter bei Angebotsabgabe durch ein vorgegebenes Formblatt zu erklären und verbindlich durch Unterschrift zu bestätigen. Fehlt dieses unterschriebene Formular und wird es auch bei einer fristbewehrter Nachforderung nicht nachgereicht, muss das Angebot zwingend ausgeschlossen werden – auch wenn es gff. für den Auftraggeber wirtschaftlich attraktiv ist und durch den Bieter rechtssicher kalkuliert war.

Preisprüfung / Kontrollrecht
Erscheint ein Angebot „ungewöhnlich niedrig“, so dass Zweifel an der Einhaltung der tariflichen Bindung bestehen, hat der Auftraggeber diese Zweifel aufzuklären. Angebote mit „unangemessen niedrigen“ Preisen dürfen nicht bezuschlagt werden. Das TTG hat an dieser Stelle die Vorgabe aus dem Mittelstandsförderungsgesetz (Prüfung notwendig, wenn Preisabstand mehr als 10%) nicht übernommen, so dass der Auftraggeber eine pflichtgemäße Ermessenentscheidung (Wann ist der Preis unangemessen niedrig?) zu treffen hat. Zur Überprüfung eines auffälligen Angebotes ist der Bieter verpflichtet, die aus Sicht des Auftraggebers geeignet erscheinenden Unterlagen vorzulegen und ggf. zu erläutern. Die Kalkulationseinsicht im Bereich der Bauleistungen dürfte in der Regel durch die Formblätter des Vergabehandbuchs Bau des Bundes (EFB-Preisblätter) erfolgen. Bieter haben in der Aufklärung die Vergabestellen davon zu überzeugen, dass trotz des „niedrigen“ Preises eine ordnungs- und vertragsgemäße Leistungserbringung gewährleistet ist.

Weigert sich ein Bieter, diese Unterlagen vorzulegen (aus welchen Gründen auch immer) oder sind die Zweifel aus Sicht der Vergabestellen nicht ausgeräumt, folgt daraus der zwingende Ausschluss des Angebotes. Darüber hinaus muss die Vergabestelle diesen Bieter bei AEntG-Aufträgen an die Finanzkontrolle Schwarzarbeit bei der Bundeszollverwaltung melden.

Im laufenden Auftrag sind die öffentlichen Auftraggeber nunmehr berechtigt, durch Kontrollen und Anforderung geeigneter Unterlagen (u.a. Entgeltabrechnungen, Verträge mit Nachunternehmern) die Einhaltung der Verpflichtungserklärungen des Auftragnehmers zu prüfen. Die

Auskunfts- und Prüfrechte sind vertraglich zu vereinbaren, sie können auch durch „vor-Ort-Kontrollen“ erfolgen und gelten auch für die vom Bieter eingesetzten Nachunternehmen.

Sanktionen / „Vergabesperre“
Zukünftig sind in die Vertragbedingungen (Vertragsdurchführung) weitere Vertragsstrafen aufzunehmen. Sofern ein Auftragnehmer schuldhaft gegen die tarifvertraglichen Verpflichtungen aus dem TTG verstoßen hat, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 1% bis zu 5% des Auftragswertes zu vereinbaren. Diese Sanktion des Hauptauftragnehmers gilt auch dann, wenn der von ihm eingesetzte Nachunternehmer (auch Nach-/Nach-unternehmer) oder Verleiher von Arbeitskräften den Verstoß zu verantworten hat.

Das TTG SH regelt bereits heute die Möglichkeit, dass Auftragnehmer, die gegen die Inhalte der abgegebenen tariflichen Verpflichtungserklärungen nachweislich verstoßen haben, vom Auftraggeber bis zu einer Dauer von drei Jahren von der Teilnahme am Wettbewerb um öffentliche Aufträge ausgeschlossen werden können. Diese „Vergabesperre“ aufgrund mangelnder Eignung kann auch verhängt werden, wenn die Verstöße im Verantwortungsbereich des eingesetzten Nachunternehmers liegen.

Das Land Schleswig-Holstein beabsichtigt hierzu die zentrale Erfassung der eingetragenen Bieter durch die Einrichtung eines sog. „Korruptionsregisters“. Das Verfahren zur Eintragung bei einer Registerstelle, die gemeinsam mit Hamburg eingerichtet werden soll, wird in einem Gesetz geregelt werden, das derzeit lediglich als Entwurf bekannt ist. Mit Einrichtung des Registers sind Auftragsvergaben nur noch möglich, wenn die Vergabestelle vor Zuschlag eine Registerabfrage tätigt und diese Abfrage bezogen auf den Zuschlag-Bieter keine Eintragung ergibt.

Beachtung „sozialer“ Standards
Der Gesetzgeber verfolgt mit dem TTG auch das Ziel, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge darauf hinzuwirken, dass die in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards (u.a. Verbot Kinderarbeit, Gleichstellung von Frauen und Männer im Beruf, Verbot Zwangsarbeit und Gewährleistung des Vereinigungsrechts) erfüllt werden. Diese Vorgabe des TTG ist warenbezogen durch den öffentlichen Auftraggeber vorab zu prüfen. In einem abschließenden Warenkatalog sind diese sensiblen Waren erfasst: u.a. Bekleidung, Lederwaren und Spielzeuge, aber auch Agrarprodukte, Natursteine oder Holz- und Holzprodukte. Falls eine auszuschreibende Leistung diese sensiblen Waren enthalten kann, gibt der Auftraggeber spätestens mit den Verdingungsunterlagen eine Liste der Siegel/Zertifikate oder Bescheinigungen vor, die die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnorm nachweisen. Bei Angebotsabgabe hat der Bieter, sofern die von ihm eingesetzten Waren aus Ländern z.B. wie Afrika oder Asien stammen, die vom Auftraggeber geforderten Siegel / Zertifikate oder eigene, geeignete Nachweise beizufügen.

Im Rahmen der Bekanntmachung der Auftragsabsicht oder den Verdingungsunterlagen hat die Vergabestelle den Bietern eindeutige Regelungen mitzuteilen und ggf. entsprechende Formblätter zur Angebotsabgabe zur Verfügung zu stellen. Sofern die geforderten Nachweise nicht bei Angebotsabgabe beigefügt werden oder die eigenen Nachweisangaben den Vorgaben des Auftraggebers nicht genügen, droht auch hier der zwingende Angebotsausschluss.

Ausblick
Das Tariftreue- und Vergabegesetz Schleswig-Holstein erfordert vom Unternehmer, der sich um öffentliche Aufträge bemüht, im ersten Schritt die Beachtung weiterer, nicht immer eindeutig formulierter Formvorschriften. Die zwingende Abgabe geforderter Verpflichtungs-erklärungen ohne Vorgabe einer allgemein verbindlichen Form und im Bereich der ILO-Kernarbeitsnormen der „geeigneten Nachweise“ schaffen keine Klarheit, insbesondere auch in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen den Bietern im Rahmen eines Nachunternehmereinsatzes. Damit wird das Risiko erhöht, dass ein Angebot trotz wirtschaftlicher Attraktivität von der Wertung ausgeschlossen werden muss.

Wesentliche Teile des TTG sollen durch Rechtsverordnungen geregelt werden – diese sind aber noch nicht bekannt. Es ist daher zu befürchten, dass jede ausschreibende Einrichtung nunmehr zunächst eigene Formblätter zur Umsetzung des TTG entwickelt. Die erfolgreiche Tätigkeit am öffentlichen Markt dürfte sich durch den zusätzlichen eher „bürokratischen“ Aufwand für Unternehmen nicht erleichtern.

Es wäre daher wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber sowohl TTG als auch Rechtsverordnungen mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf als Lösung „aus einem Guss“ präsentiert hätte.

Spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten muss die Landesregierung dem Landtag nach Artikel 3, Abs. 2 TTG eine Evaluierung vorlegen, in der die Wirkung des Gesetzes hinsichtlich der Effizienz und der Zielerreichung dargestellt wird.

  Quelle: www.abst-sh.de


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