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Terminplan „umgeworfen“: Keine Vertragsstrafe!

08.06.2023

Wird der Terminplan für ein Bauvorhaben aufgrund von beiden Parteien verursachten Verzögerungen "umgeworfen", so wird ein Vertragsstrafenversprechen bereits dann hinfällig, wenn die vom Auftraggeber zu vertretenden Bauablaufstörungen schon für sich genommen eine wesentliche Überschreitung des vereinbarten Fertigstellungstermins zur Folge gehabt hätten. Dies hat das OLG Frankfurt mit Urteil vom 03.02.2023 (21 U 47/20) entschieden.

 

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RA Michael Seitz

 

Der Fall: AG beauftragt AN für knapp 750 Mio. EUR, ein Netzanschlusssystem für den Anschluss eines Offshore-Windparks an das Stromnetz auf dem Festland zu errichten. Nachdem Projektvertrag soll das Anschlusssystem am 25.03.2015 fertiggestellt sein. Für den Fall der Nichteinhaltung dieses Fertigstellungstermins ist eine Vertragsstrafe von 0,03 %/Tag, maximal 10 % des Vertragspreises zu zahlen. Zudem enthält der Vertrag auch eine Regelung, nach der bei verzögerten Mitwirkungshandlungen des AG die Fertigstellungsfrist verlängert wird. Dem von AN benötigten Zugang zur Offshore-Plattform, der ursprünglich für April 2014 vorgesehen war, ermöglicht AG erst im Juni 2015. Außerdem ordnet AG diverse Leistungsänderungen an, sodass es insgesamt zu einer Verzögerung von 784 Tagen kommt, die allerdings zu einem nicht unerheblichen Teil auch von AN zu vertreten sind. AG macht eine Vertragsstrafe von knapp 80 Mio. EUR geltend.

Das Urteil: Mit dem außerordentlich umfangreichen Urteil des OLG Frankfurt, das sich mit einer Vielzahl von Rechtsfragen auseinandersetzt, entscheidet das Gericht u. a. auch darüber, ob die Vertragsstrafe zu zahlen ist. Das OLG Frankfurt verneint dies. Es schließt sich zunächst der herrschenden Rechtsprechung an, nach der eine Vertragsstrafe dann nicht zu zahlen ist, wenn der Terminplan aus Gründen "umgeworfen" wird (also durchgreifend neu geordnet werden muss), die vom AG zu vertreten sind. Das auch der AN die Bauzeitverzögerung teilweise zu vertreten hat, sei demgegenüber jedenfalls dann unerheblich, wenn bereits die vom AG verursachten Verzögerungen (hier: keine Möglichkeit des Zugangs zur Plattform, Nachträge) für sich genommen eine durchgreifende Neuordnung des Zeitplans erforderlich gemacht hätten. Damit sei die Vertragsstrafenregelung hinfällig, AN muss also Vertragsstrafe nicht zahlen.

Fazit: Eine Vertragsstrafe ist nichts anderes als pauschalierter Schadensersatz für eine Bauzeitverzögerung, die vom AN verursacht wurde. Demgemäß liegt es auf der Hand, dass die Vertragsstrafe nicht verfällt, wenn und soweit die Bauzeitverzögerung vom AG verursacht wurde. In den allermeisten Fällen sind Bauzeitverzögerungen allerdings multikausal, d. h. sie werden teils von der einen, teils von der anderen Vertragspartei verursacht. Führen diese Verzögerungen dazu, dass der im Vertrag vorgesehene Zeitplan "umgeworfen" wird, ist die Vertragsstrafe selbst dann nicht zu zahlen, wenn der Vertrag - wie hier - eine Bauzeitverlängerung für den Fall von Verzögerungen enthält, die der AG verursacht hat. Will der AG in solchen Fällen noch eine Vertragsstrafe erlangen, so muss er nach Abschluss der Verzögerung den AN mahnen und zur zeitgerechten Erbringung der Leistung auffordern, was zumeist versäumt wird. Dennoch sind diese Fälle für den Unternehmer oft höchst gefährlich: ob nämlich die vom AG verursachte Verzögerung lediglich zu einer Verlängerung der Bauzeit führt oder ob der Terminplan im Ganzen "umgeworfen" wird mit der Folge, dass die Vertragsstrafe gänzlich entfällt, ist eine Frage des Einzelfalles.

  Quelle: RA Michael Seitz


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