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Unklarheiten der Ausschreibungsunterlagen gehen zu Lasten des Auftraggebers!

08.04.2015

Die Vergabekammer (VK) Hamburg hat mit Beschluss vom 20.06.2014 – VgK FB 5/14 - u.a. Folgendes entschieden:

• Enthält das vom Auftraggeber vorgegebene Preisblatt für zwei Angebotsalternativen zwei Kästchen zum Ankreuzen, muss der Auftraggeber klarstellen, ob es sich bei der Ankreuzmöglichkeit um eine Entweder-oder-Alternative handelt oder beide Kästchen angekreuzt werden können. Etwaige Unklarheiten gehen zu Lasten des Auftraggebers.

• Enthält ein Angebot Unklarheiten oder Widersprüchlichkeiten, kann der Auftraggeber diese aufklären. Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Aufklärung den Inhalt des Angebots nicht verändern darf. Dem Bieter darf nicht erlaubt werden, ein unvollständiges Angebot zu komplettieren.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte für die Begleitung EU- weiter Ausschreibungen für Planungsleistungen (nach der VOF) für Schulbauvorhaben einen Rahmenvertrag europaweit im offenen Verfahren nach VOL/A ausgeschrieben. Der Auftrag war in zwei Mengenlose aufgeteilt, jedes Los umfasste die Hälfte des wirtschaftlichen Gesamtbedarfs. Der AG erwartete Angebote sowohl auf nur ein Los als auch auf beide Lose und hatte sich in seiner Leistungsbeschreibung vorbehalten, den Zuschlag auf eines oder beide Lose zu erteilen. In den Ausschreibungsunterlagen befand sich ein Preisblatt, in dem zwei Kästchen dargestellt waren, eines mit dem Text „Angebot für ein Los – Zutreffendes bitte ankreuzen“, das andere mit dem Text „Angebot für zwei Lose – Zutreffendes bitte ankreuzen“. Eine Differenzierung des Angebotspreises für beide Angebotsalternativen war nicht vorgesehen; es konnte nur ein Preis angegeben werden, unabhängig davon, ob das Angebot auf nur ein oder beide Lose abgegeben wurde. Bieter A hatte in diesem Preisblatt zwei Kreuze gesetzt; das Angebot wurde darauf wegen formeller Mängel ausgeschlossen. Nach Rüge beantragte Bieter A Nachprüfung.

Die VK gibt hier Bieter A voll Recht. Hier sei den Bietern die Möglichkeit eingeräumt worden, Angebote sowohl auf nur ein Los als auch auf beide Lose, mithin den Gesamtauftrag einzureichen. Auf dieser Grundlage seien Angebote erwartet worden, die sich entweder nur auf ein Los oder auf den Gesamtauftrag beziehen sollten. Dies schließe jedoch denklogisch nicht aus, dass ein Bieter, der für den Gesamtauftrag bieten wolle, zugleich auch anbiete, den ausgeschriebenen Auftrag lediglich im Umfang eines Loses zu übernehmen. So habe A das Preisblatt aufgefasst und dementsprechend beide Varianten angekreuzt, was nachvollziehbar sei. Für dieses Verständnis spreche, dass auf dem Preisblatt der Zusatz „Zutreffendes bitte ankreuzen“ beiden Ankreuzvarianten hinzugefügt war. Damit werde den Bietern, die sowohl für ein Los als auch für den Gesamtauftrag anbieten wollten, geradezu nahegelegt, ihren Erklärungswillen dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass beide Varianten angekreuzt werden, weil dies für ein solches Angebot objektiv „zutreffend“ sei. Auf dem Preisblatt tauche das Wort „oder“ nicht auf, vielmehr werde mit dem doppelten Hinweis „Zutreffendes bitte ankreuzen“ der Eindruck vermittelt, dass auch kumulativ sowohl auf nur ein Los als auch zugleich auf beide Lose angeboten werden könne.

Damit liege im Ergebnis ein Verstoß gegen die Vorgaben aus § 8 EG Abs. 1 VOL/A vor, da nicht alle Bewerber die Beschreibung der Leistung im gleichen Sinne verstehen könnten. Soweit ein AG Unklarheiten oder Widersprüchlichkeiten in einem Angebot vorfinde, stehe ihm vergaberechtlich die Möglichkeit einer Aufklärung gemäß § 18 EG VOL/A zur Verfügung, um sich selbst ausreichend Klarheit über den Angebotsinhalt zu verschaffen, der die Grundlage für seine Angebotswertung bilde. Dabei gelte der Grundsatz, dass eine Aufklärung über den Angebotsinhalt diesen nicht verändern dürfe. Den Bietern dürfe nicht erlaubt werden, auf diesem Wege ein unvollständiges Angebot zu komplettieren. Aufklärungsgespräche dienten nach ständiger Rechtsprechung ausschließlich dazu, einen feststehenden Sachverhalt aufzuklären. Grundsätzlich hätten die Bieter dabei keinen Anspruch auf Aufklärung. Dies gelte jedoch nicht, wenn der AG selbst die Zweifel in Bezug auf das Angebot verursacht und verpflichtet sei, diese Zweifel aufzuklären. In derartigen Fällen könne der Auftraggeber – wie hier – verpflichtet sein, die Zweifel durch Nachfrage beim Bieter aufzuklären. Diese Aufklärungsmöglichkeit habe hier der AG nicht genutzt, obwohl er aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben dazu verpflichtet gewesen sei, die Rechte der Bieter aus § 97 Abs. 7 GWB zu wahren. Daher müsste hier eine Neubewertung sämtlicher Angebote unter Einbeziehung des Angebots des A vorgenommen werden.

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RA Michael Werner

Partner in der Kanzlei
ZIRNGIBL LANGWIESER
Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

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Kurfürstendamm 194
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E-Mail: M.Werner@zl-legal.de
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Anmerkung:
Grundsätzlich hat ein Bieter keinen Anspruch auf Aufklärung. Vielmehr ist es seine Aufgabe, vollständige und zweifelsfreie Angebote abzugeben. Etwas Anderes gilt jedoch, wenn – wie hier – der Auftraggeber die Zweifel in Bezug auf das Angebot verursacht hat und aus Gründen der Gleichbehandlung verpflichtet ist, diese Zweifel aufzuklären. Letztlich zeigt die Entscheidung wieder deutlich, dass der AG so ausschreiben muss, dass alle Bewerber die Ausschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen, um vergleichbare Angebote abgeben zu können (siehe z.B. § 8 Abs. 1 EG VOL/A).

  Quelle: RA Michael Werner


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