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Unklarheiten in der Ausschreibung: Nicht zu Lasten des AN!

19.11.2013

Das Ergebnis der Auslegung eines Bauvertrages aufgrund öffentlicherAusschreibung wird nicht dadurch beeinflusst, dass der Auftragnehmer etwaige Unklarheiten in der Ausschreibung nicht aufgeklärt hat.

Dies hat der BGH in einem Urteil vom 12. September 2013 (Az.: VII ZR 227/11) entschieden und damit seine bereits aus dem Jahre 2008 stammende Rechtsprechung bestätigt.

Der Fall: AG schreibt Brückenbauarbeiten aus. Der Ausschreibung lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob und wie lange der Auftraggeber eine Hochspannungsleitung entfernen wird, welche die Bauarbeiten behindert. AN legt die Leistungsbeschreibung dahingehend aus, dass der AG für Baufreiheit sorgt und somit der - verkehrsübliche - Einsatz eines Krans möglich ist. AG lässt die Leitung jedoch nicht entfernen.

Daraufhin stellt AN einen Nachtrag für den zusätzlichen Aufwand, den er dadurch hatte, dass die Leitung nicht entfernt wurde. Der AG weigert sich, die Nachtragsforderung anzuerkennen. Die Ausschreibung sei in Bezug auf die Leitung unklar gewesen, AN hätte dies erkennen und durch Nachfrage ausräumen müssen.

Das Urteil: Der BGH gibt - anders als die Vorinstanzen - AN Recht! Selbst wenn die Ausschreibung nicht eindeutig gewesen sein sollte, so gehe dies nicht zu Lasten des AN. Dazu legt der BGH zunächst die Ausschreibung aus und stellt fest, dass eine an den Vorgaben der VOB/A orientierte Auslegung ergibt, dass die Leitung die Arbeiten nicht behindern dürfe. Hätte AG dieses Ergebnis vermeiden wollen, so hätte er seine Ausschreibung präzisieren müssen. AG muss die für die Ausführung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle so beschreiben, dass die Bieter ihre Auswirkungen auf die Bauausführung entsprechend sicher beurteilen können.

AG müsse daher alle die Maßnahme beeinflussenden Umstände feststellen und in den Vergabeunterlagen angeben. Nur so sei eine einwandfreie Preisermittlung möglich (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 6 VOB/A). Eine Ausschreibung sei im Zweifel so zu verstehen, dass AG diesen Vorgaben gerecht werde. Daher reiche es nicht aus, die den Kran behindernde Leitung (wie hier) in einen Ausführungsplan einzuzeichnen, wenn sich aus weiteren Unterlagen ergibt, dass die Leitung tatsächlich abgebaut werden muss. Hätte AG den Eindruck vermeiden wollen, dass die Leitung die üblicherweise mit einem Kran vorzunehmenden Arbeiten nicht behindern wird, so hätte er ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass - wie er später behauptet - Baufreiheit nur für den Zeitraum der Bohrpfahlarbeiten garantiert sein sollte. Nur bei dieser Lesart sei nämlich eine einwandfreie Preisermittlung auf der Grundlage der Bauzeit möglich. Da AG einen solchen Hinweis unterlassen hat, sei die Ausschreibung entsprechend den Vorgaben VOB/A so zu verstehen, dass Baufreiheit während der gesamten Bauphase bestehe. Ebenso sei es unerheblich, dass die Parteien vereinbart haben, dass AN die Feststellung und Sicherung von Leitungen und Kabeln auf der Baustelle übernommen habe. Die Regelung betreffe nur die Sicherung von Leitungen und Kabeln, nicht aber deren Abbau. Für die Entfernung der Hochspannungsleitung sei unstreitig AG verantwortlich gewesen. Ebenso wenig sei schließlich von Belang, dass sich AN nicht bemüht habe, die Unklarheit in der Ausschreibung durch Nachfrage zu beseitigen. Es gibt nämlich keine Auslegungsregel, nach der ein Vertrag mit einer unklaren Leistungsbeschreibung allein deshalb zu Lasten des AN auszulegen ist, dass dieser die Unklarheiten vor Angebotsabgabe nicht aufgeklärt hat.

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Fazit: Die Entscheidung schafft in einer sehr häufig zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Auftragnehmer streitigen Frage Klarheit: Es ist Aufgabe des AG, die ausgeschriebene Leistung umfassend und eindeutig zu beschreiben. Unklarheiten gehen dabei zu seinen Lasten, und zwar selbst dann, wenn der Bieter nicht nachfragt.

Dennoch ist jedem Bieter zu raten, bei Unklarheiten, die er erkennt, gleichwohl nachzufragen. Der Grat, der eine bloße Unklarheit, die nicht zu Lasten des AN geht, von einer Lücke in der Ausschreibung, die AN u. U. hätte erkennen und aufklären müssen, unterscheidet, ist schmal.

  Quelle: RA Michael Seitz


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