zurück

Unzuverlässigkeit eines Bieters wegen mangelhafter früherer Leistungen?

24.08.2012

Die Vergabekammer Nordbayern hat mit Beschluss vom 12. Juni 2012 – 21.VK-3194-10/12
u. a. folgendes entschieden:

Steht dem Auftraggeber bei der Entscheidung über den Ausschluss eines Angebots
ein Beurteilungsspielraum zu und hat er in Ausübung dieses Spielraums die
Zuverlässigkeit, fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit des Bieters
bejaht, ist er daran grundsätzlich gebunden. Er ist nach Treu und Glauben im
Allgemeinen gehindert, im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens von seiner
ursprünglichen Beurteilung abzurücken und bei unveränderter Sachlage die
Zuverlässigkeit, Eignung oder Leistungsfähigkeit des Bieters nunmehr zu verneinen.
Die Bindung an eine einmal getroffene Ermessensentscheidung besteht selbst dann,
wenn der Auftraggeber im Rahmen der Eignungsprüfung verfahrensfehlerhaft
nicht alle zu berücksichtigenden Umstände gewürdigt haben sollte.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Parkett- und Bodenbelagsarbeiten europaweit im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Von 16 Angeboten hatte nach rechnerischer Prüfung Bieter A das günstigste Angebot abgegeben. Bieter B lag auf Platz 2. Der AG teilte darauf den Bietern mit, nach Ablauf der Informationsfrist den Zuschlag an Bieter A für den Fall zu erteilen, dass „bis dahin kein Nachprüfungsverfahren eingeleitet worden und nicht andere unvorhersehbare entscheidungsrelevante Gründe eingetreten seien“. Kurz darauf revidierte der AG seine Zuschlagsentscheidung. Bieter A wurde mitgeteilt, dass der Zuschlag nun an Bieter B erteilt werde, da aufgrund äußerst schlechter Erfahrungen des AG bei der Auftragabwicklung zweier früherer Projekte mit A die Zuverlässigkeit bezweifelt und sein Angebot gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A ausgeschlossen werde. Dagegen wehrte sich Bieter A mit Nachprüfungsantrag zur Vergabekammer. Die Vergabekammer (VK) gibt hier Bieter A recht und sieht ihn in seinen Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB verletzt, da sein Angebot zu unrecht von der Wertung ausgeschlossen worden sei. Die VK betont, dass der AG grundsätzlich an seine ursprüngliche Beurteilung der Eignung eines Bieters gebunden sei – siehe Urteilstenor. Allerdings könne es im Einzelfall zulässig und sogar geboten sein, eine Eignungsprüfung nachträglich zu korrigieren, wenn sich zwischenzeitlich aufgrund neuer Erkenntnisse herausgestellt haben sollte, dass die ursprüngliche Eignungsprüfung auf falschen Tatsachen beruhte. Dabei sei auch nicht zu beanstanden, wenn ein AG bei der Eignungsprüfung eines Bieters auf eigene Erfahrungen aus früheren, abgeschlossenen Vertragsverhältnissen zurückgreife. Allerdings könne hier der AG mit seiner Behauptung, es wären neue Erkenntnisse gewesen, die erst nach dem Zusageschreiben an Bieter A bekannt geworden seien, nicht durchdringen. Die eigenen Probleme des AG mit Bieter A aus früheren Aufträgen seien dem AG bekannt gewesen. Für die Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bieters im Vergabeverfahren sei maßgebend, inwieweit die Umstände des Einzelfalles die Aussage rechtfertigten, er werde die von ihm angebotenen Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens sind, vertragsgerecht erbringen. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit sei eine Prognoseentscheidung, die regelmäßig aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens des Bewerbers erfolge. Zu den typischen Fällen von Unzuverlässigkeit eines Bewerbers gehöre grundsätzlich auch mangelnde Sorgfalt bei der Ausführung früherer Arbeiten, die zu Nachforderungen des Auftraggebers oder zu Gewährleistungsansprüchen geführt hätten. Erforderlich sei dabei eine umfassende Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte unter angemessener Berücksichtigung des Umfangs, der Intensität, des Ausmaßes und des Grades der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzungen. Aus der Tatsache einer Vertragsverletzung oder einer mangelhaften Leistung könne daher nur dann der Rückschluss auf eine Unzuverlässigkeit des Unternehmers gezogen werden, wenn der Mangel gravierend sei, d. h. zu einer deutlichen Belastung des AG, sei es in tatsächlicher oder finanzieller Hinsicht, geführt habe. Nach ausreichender Würdigung der unterschiedlichen Standpunkte der Parteien sei die Vergabekammer hier zu der Überzeugung gelangt, dass ein einseitiges, vorwerfbares Verschulden des Bieters A bezüglich seiner früheren Leistungen nicht feststellbar sei. Damit biete das Verhalten des A keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Fehlen seiner Zuverlässigkeit. Bei dieser Prüfung sei auch besonders zu berücksichtigen, dass ein Ausschluss eines Unternehmens von der öffentlichen Auftragsvergabe wegen Unzuverlässigkeit schwerwiegende Folgen für das Unternehmen haben könne. Deshalb seien die Hürden für einen derartigen Ausschluss relativ hoch. Insbesondere müsse es sich um gravierende und vor allem um nachgewiesene Verfehlungen handeln. Diese hätten hier vom AG nicht
dargelegt werden können.

RA_Werner_online.jpg

Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt exemplarisch, wie wichtig eine sorgfältige Überprüfung der Eignung eines Bieters ist. Wird diese durch den Auftraggeber bejaht, sind die Hürden, später die festgestellte Eignung eines Bieters wieder in Zweifel zu ziehen, außerordentlich hoch. In Anbetracht der bedeutenden Folgen eines Verfahrensausschlusses für einen Unternehmer müssen die früheren Verfehlungen besonders gravierend sein und insbesondere vom Auftraggeber im Einzelnen nachgewiesen werden. Dies dürfte im Einzelfall regelmäßig sehr schwierig sein.

  Quelle: RA Michael Werner


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare