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Vergaberecht als Omni-Kompetenz?

28.06.2012

Vergaberechtlicher Newsflash

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
insbesondere mit den neuen Regelungen in § 97 Abs. 4 GWB, wonach umweltbezogene und soziale Aspekte zum Gegenstand von Vergabeentscheidungen gemacht werden können, wenn diese im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen, ist immer wieder zu bedenken gegeben worden, dass die Vergabekammern und Vergabesenate überfordert sein würden, neben den Bestimmungen des Vergabeverfahrens (§ 97 Abs. 7 GWB) auch noch die Einhaltung weiterer gesetzlicher Bestimmungen aus den verschiedensten Rechtsbereichen zu überprüfen. Dieser Einwand ist berechtigt, obwohl und weil ohnehin der vergabe-rechtliche Prüfungsrahmen schon stark überfrachtet ist. Insbesondere die Bestimmung des § 97 Abs. 4 GWB („Zuschlag an leistungsfähige, gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen“) ist Einfallstor für viele Spezialgesetze.

1. So gibt es uneinheitliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die kommunal-wirtschaftsrechtliche Zulässigkeit einer wirtschaftlich relevanten Tätigkeit von Gemeinden (beispielsweise nach § 107 GO NW) auf Seiten der Bieter zu prüfen ist. Das OLG Düsseldorf beispielsweise prüft im Rahmen der „rechtlichen Leistungsfähigkeit“ auch die Einhaltung der kommunalwirtschaftlichen Betätigungsverbote beispielsweise nach §§ 107 f GO NRW (Beschluss vom 17.06.2002, NZBau 2002, 626). Das OVG Nordrhein-Westfalen (NVwZ 2008, 1031) beansprucht die Kompetenz effektiven Schutzes der durch § 107 GO NRW gewährten Rechte der Wirtschaftsteilnehmer nach § 40 VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und beschränkt die vergaberechtliche Zuständigkeit darauf, offenkundige Rechtsverstöße in die Prüfung der Eignungskriterien einzubeziehen.

2. Etwas anders verfährt die gerichtliche Praxis bei der Berücksichtigung staatlicher Beihilfen zu Gunsten eines Bieters im Hinblick auf die wettbewerbsrechtlichen Beanstandungen anderer Bieter. Die Pflicht der Vergabestelle umfasse nicht die Verpflichtung, die Gewährung staatlicher Fördermittel auf ihre formelle oder materielle Europarechtskonformität zu überprüfen und im Falle der Europarechtswidrigkeit das Angebot von der Wertung auszuschließen oder Beihilfegewährung durch die Erhöhung des Angebotspreises zu korrigieren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.07.2002, NZBau 2002, 634). Dies entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 07.12.2000, VergabeR 2001, 28). Insoweit besteht also eine starke vergaberechtliche Zurückhaltung bei der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen.

3. Wiederum anders verfährt die Rechtsprechung bei Beanstandungen von Bietern, ein Wettbewerber habe sich nach § 1 ff UWG unzulässige Wettbewerbsvorteile verschafft. Der BGH (Urteil vom 25.04.2002, VergabeR 2002, 467) hält die Vorschriften des UWG nicht für drittschützend, so dass der behauptete Verstoß gegen § 1 UWG im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens nicht geprüft werden müsste. Allerdings könnte die Vergabekammer einem solchen Hinweis nachgehen, um schwerwiegende Verstöße gegen den Wettbewerbsgrundsatz zu vermeiden.

4. Ähnliches gilt auch für die Frage, ob patentrechtliche Fragestellungen geklärt werden müssen. Das OLG Düsseldorf weist in seinem Beschluss vom 21.02.2005 (VII - Verg 91/04) darauf hin, dass die Schwierigkeit in dieser Fragestellung nicht dagegen spricht, sie in das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren einzubeziehen. Die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 19.10.2004) war insoweit anderer Ansicht; das OLG Thüringen (Beschluss vom 22.08.2002) beschränkt die Nachprüfung auf ganz offensichtliche Fälle und verweist zur Begründung auf den erheblichen Zeitdruck der Vergabenachprüfungsverfahren.

5. Auch das AGB-Recht (§§ 305 ff BGB) kann in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren eine Rolle spielen, jedoch sind AGB-rechtswidrige Verträge keineswegs auch vergaberechtlich unzulässig und umgekehrt. Vorkommen kann es allerdings, dass vergabe- und AGB-rechtlich dieselben Prüfungen anzustellen sind, beispielsweise bei der Übertragung von Risiken auf Auftragnehmer nach § 8 VOL/A im Rahmen der Leistungsbeschreibung (und zwar auch nach der Neuregelung 2009). Eine weitere Verbindung zwischen AGB-Recht und Vergaberecht besteht allerdings nicht.

Diese Beispiele zeigen, dass die Handhabung von Gesetzen außerhalb der Verfahrensvorschriften des GWB sehr uneinheitlich ist. Hinzu kommen Bestimmungen des Abfallrechts, des Tarifvertragsrechts, des Sozialversicherungsrechts, des Gewerberechts usw., die im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens umstritten sein können. Hier ist es im Einzelfall schwierig für die Nachprüfungsinstanzen festzustellen, wie weit und tiefgehend sie eine Prüfung anlegen. Die Begründung, nur offensichtliche Verstöße könnten eine Rolle spielen, ist nicht zufriedenstellend, ebenso wenig wie der Hinweis auf schwierige und zeitraubende Rechtsprobleme. Die Alternative, im Sinne vorläufigen Rechtsschutzes eine vorläufige Entscheidung zu treffen, gibt es im Vergabenachprüfungsverfahren regelmäßig nicht. Wenn es auf eine solche Spezialfrage ankommt, werden die Vergabekammer und der Vergabesenat also wohl nicht darum herumkommen, sie auch zu klären, und zwar ohne Vorbehalt oder Einschränkung, dazu schnell und begründet. Aus der Sicht des Praktikers ist dies ein weiterer Grund dafür, das Vergaberecht nicht mit immer neuen Anforderungen aus zum Teil schwer zu handhabenden Rechtsgebieten zu überfrachten.

willenbruchWieddekind

Mit besten Grüßen
Dr. Klaus Willenbruch und
Kristina Wieddekind
Taylor Wessing Hamburg

  Quelle: www.taylorwessing.com


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