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Verhandlungsverfahren ohne Verhandlungen

08.02.2022

Die Vergabekammer (VK) Sachsen hat mit Beschluss vom 06.10.2021 – 1/SVK/030-21 u.a. folgendes entschieden:

1. Ein öffentlicher Auftraggeber kann den Auftrag nur dann auf der Grundlage von Erstangeboten vergeben, ohne in Verhandlungen einzutreten, wenn er sich in der Auftragsbekanntmachung diese Möglichkeit vorbehalten hat. Ohne einen solchen Vorbehalt dürfen Bieter davon ausgehen, dass zumindest eine Verhandlungsrunde durchgeführt wird.
2. Unterkriterien, deren Gewichtung und die Wertungsmatrix sind den Bietern in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen bekannt zu machen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Planungsleistungen für die Modernisierung einer Trinkwasserhauptleitung im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Ein Zuschlagskriterium war: „Bietergespräch: Präsentation eines vergleichbaren Projekts“ mit einer Gewichtung von 30%. Für dieses Kriterium hatte der AG eine Wertungsmatrix mit vier Unterkriterien mit jeweils weiteren Unterkriterien sowie deren jeweiligen Gewichtung erstellt. Diese Matrix und die Unterkriterien waren den Bietern nicht bekannt gegeben worden. Nach Wertung der Erstangebote beabsichtigte der AG, den Zuschlag auf das Angebot des Bieters B zu erteilen, ohne zuvor Verhandlungen mit den Bietern durchgeführt zu haben. Bieter A, dessen Angebot keine Berücksichtigung finden sollte, monierte dieses Vorgehen des AG als unzulässig und stellte Antrag auf Nachprüfung.
Die VK gibt hier Bieter A Recht. Der AG habe vorliegend gegen § 127 Abs. 5 GWB bzw. § 58 Abs. 3 VgV verstoßen, indem er mehrere Unterkriterien mit eigener Gewichtung in dem Zuschlagskriterium „Bietergespräch: Präsentation eines vergleichbaren Projekts“ gebildet habe, ohne diese in der Bekanntmachung oder Vergabeunterlage zu veröffentlichen.


Aus § 127 Abs. 5 GWB und § 58 Abs. 3 VgV ergebe sich, dass die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufgeführt werden müssten. Diese Bekanntmachungspflicht sei umfassend und umfasse auch Unterkriterien. Der Auftraggeber dürfe den Bietern im Voraus aufgestellte Wertungsgrundlagen nicht vorenthalten. Dies werde in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008 – C 532/06 - und EuGH, Beschluss vom 20. Dezember 2017 - C-677/15) aus dem Transparenzgebot abgeleitet. Den Bietern seien neben den Zuschlagskriterien daher auch alle Unterkriterien (auf allen Ebenen), die Gewichtungsregeln oder Bewertungsmatrizen, die der Auftraggeber aufgestellt habe, um die eingehenden Angebote zu bewerten, bekannt zu machen.


Soweit vom AG darauf hingewiesen worden sei, dass in der Einladung zum Bietergespräch weitere Informationen zum Bietergespräch an die Bieter herausgegeben würden, sei dies zwar zutreffend. Diese beinhalteten aber weder die gebildeten Unterkriterien noch deren Gewichtung. Vielmehr sei dort nur allgemein festgehalten, dass Schwerpunkt des Bietergesprächs die Präsentation/Vorstellung eines vergleichbaren Projektes sein sollte mit dem die Fachkunde und Leistungsfähigkeit bei der Abwicklung der ausgeschriebenen Planungsleistungen nachgewiesen werden sollte. Zudem bestimmten § 127 Abs. 5 GWB und § 58 Abs. 3 VgV, dass die Nennung der Zuschlagskriterien spätestens in den Vergabeunterlagen zu erfolgen habe. Eine Bekanntgabe der Unterkriterien in einer Einladung zum Bietergespräch wäre unabhängig davon, dass dies hier nicht geschehen sei, deshalb schon per se nicht ausreichend, denn die Einladung zum Bietergespräch könne nicht mehr den Vergabeunterlagen zugerechnet werden.


Des Weiteren habe es der AG hier rechtswidrig versäumt, Verhandlungen mit den Bietern aufzunehmen, obwohl er ausweislich der von ihm selbst gewählten Verfahrensart "Verhandlungsverfahren" dazu verpflichtet gewesen wäre und er sich die Möglichkeit, den Zuschlag bereits auf die Erstangebote zu erteilen, nicht vorbehalten habe. Das gewählte Verhandlungsverfahren sei ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wende, um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln, § 141 Abs. 1 GWB i. V. m. § 119 Abs. 5 GWB. Denn Grundgedanke des Verhandlungsverfahrens sei es, durch Verhandlungen das wirtschaftlichste Angebot zu erhalten. Die Verhandlungen dienten der Anpassung der Angebote an den Beschaffungsbedarf und die Auftragsbedingungen im laufenden Verfahren.


Aus der Regelung des § 17 Abs. 11 VgV zum gewählten Verhandlungsverfahren ergebe sich klar und eindeutig, dass der öffentliche Auftraggeber den Auftrag nur dann auf der Grundlage der Erstangebote vergeben könne, ohne in Verhandlungen einzutreten, wenn er sich in der Auftragsbekanntmachung diese Möglichkeit vorbehalten habe. Ohne einen solchen Vorbehalt dürften Bieter aber davon ausgehen, dass zumindest eine Verhandlungsrunde durchgeführt werde und sie Gelegenheit zur Abänderung und Verbesserung des Angebots haben würden. Nur durch den Vorbehalt (bereits) in der Bekanntmachung werde diesbezüglich das Gebot der Transparenz gewahrt. Die Bieter müssten bei der Erstellung der Erstangebote wissen, ob sie unter Umständen nur eine Chance ohne weitere Verbesserungsmöglichkeit für ihre Angebotsabgabe haben oder, ob eine weitere Chance auf Verbesserung ihres Angebotes bestehe. Dies gebe den Bietern die Möglichkeit ihr Angebot auf dieser Grundlage entsprechend zu kalkulieren. Deshalb sei der Vorbehalt dieser Option in der Bekanntmachung eine zwingende Voraussetzung,um den Zuschlag bereits auf die Erstangebote zu erteilen. Fehle hierzu jede Angabe, dürfe der Bieter grundsätzlich darauf vertrauen, dass Verhandlungen stattfänden.

Anmerkung:

Die VK trifft in der o.g. Entscheidung zwei wesentliche Feststellungen:
Wenn der AG Unterkriterien mit entsprechender Gewichtung bzw. eine sog. Wertungsmatrix aufstellt, dann muss er diese aus Gründen der Transparenz in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen allen Bietern bekannt geben.
Wählt der AG das Verhandlungsverfahren, dann muss er regelmäßig wenigstens eine Verhandlungsrunde durchführen, da dies dem Sinn und Zweck dieser Verfahrensart und damit den berechtigten Erwartungen der Bieter entspricht. Ausnahme von dieser Regel: Der AG kann dann – ohne Durchführung einer Verhandlung – den Zuschlag auf Erstangebote erteilen, wenn er sich dies ausdrücklich in der Auftragsbekanntmachung vorbehalten hat (siehe § 17 Abs. 11 VgV bzw. § 3b EU Abs. 3 Nr. 7 VOB/A).

  Quelle: RA Michael Werner


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