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Vertragsdurchführung geht vor Preisgewissheit!

10.08.2017

von Ra Michael Seitz

Aus der Vorleistungspflicht des Unternehmers im Bauvertrag folgt der Grundsatz „Vertragsdurchführung geht vor Preisgewissheit“. Der Unternehmer darf seine Leistung deshalb nicht allein aus dem Grund verweigern, dass ihm der Besteller einen umstrittenen Nachtrag nicht zubilligt. Ein Grund zur Leistungsverweigerung entsteht erst dann, wenn der Besteller in Verzug mit der Zahlung tatsächlich fälliger Abschlagszahlungen gerät, die allerdings auch für die Ausführung umstrittener Nachträge begründet werden können.

Dies hat das Kammergericht in einem Urteil vom 13.06.2017 (Az: 21 U 24/15) entschieden.

Der Fall: AG beauftragt AN mit Betonarbeiten. Am 20.11.2012 stellt AN eine Nachtragsforderung für den Einbau einer Elementtreppe, die allerdings bereits zum Auftragsumfang gehört. Zugleich verlangt er von AG die Stellung einer Bauhandwerkersicherungsbürgschaft gemäß § 648a BGB. AG weist den Nachtrag am 21.11.2012 zurück und fordert ihn auf, bis zum 22.11.2012 einen verbindlichen Termin für die Treppenmontage zu benennen. Nachdem dies nicht geschieht, kündigt AG den Vertrag am 23.11.2012 gemäß § 8 Abs. 3 der zwischen den Parteien vereinbarten VOB/B.

Das Urteil: Das Kammergericht stellt fest, dass AG zu Unrecht gekündigt hat! Zwar sei die Nachtragsforderung nicht begründet gewesen, denn der Einbau der Elementtreppe sei bereits Gegenstand des ursprünglichen Vertrages gewesen. Die Frist von nur einem Tag, die AG dem AN gesetzt hat, sei allerdings zu kurz. Deshalb konnte AG nicht wirksam außerordentlich kündigen.

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Fazit: Interessant ist die Entscheidung vor allem wegen des im (amtlichen) Leitsatz festgehalten Grundsatzes „Vertragsdurchführung geht vor Preisgewissheit“. Grundsätzlich ist – wie allgemein bekannt sein dürfte – AN nämlich nicht berechtigt, die Leistung einzustellen, weil er mit AG über die Berechtigung eines Nachtrages bzw. die Höhe der Nachtragsvergütung streitet. Etwas anderes gilt nur dann, wenn AG die Beauftragung eines berechtigten Nachtrages grundlos verweigert. Hier hatten die Parteien einen Vertrag auf Grundlage der VOB/B geschlossen. Danach ist AG jederzeit berechtigt, zusätzliche oder geänderte Leistungen „dem Grunde nach“ zu beauftragen. AN muss diese Leistung wegen seiner Vorleistungspflicht dann erbringen, und zwar auch dann, wenn über die Höhe der Nachtragsvergütung noch keine Einigung erzielt wurde. Mit der Anordnung der geänderten oder zusätzlichen Leistung gemäß § 1 Abs. 3 bzw. 4 VOB/B entsteht „automatisch“ ein Anspruch auf Mehrvergütung gemäß § 2 Abs. 5, 6 VOB/B, deren Höhe allerdings noch nicht feststeht, sondern nach den Regeln des § 2 Abs. 5 bzw. 6 VOB/B zu ermitteln ist. Stellt sich allerdings später heraus, dass es sich gar nicht um eine geänderte oder zusätzliche Leistung handelt, so liegt auch keine ändernde Anordnung und mithin natürlich auch kein zusätzlicher Vergütungsanspruch vor. Die Abgrenzung zwischen Nachtrag und bereits vertraglich geschuldeter Leistung ist nicht immer einfach und führt sehr häufig zu Streit zwischen Auftraggeber und Unternehmer.

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