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Vorrang einer Abwehrklausel vor Bieter – AGB !

08.10.2019

von Ra Michael Werner

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 18.06.2019 – X ZR 86/17 – folgendes entschieden:

• Sehen die Vergabeunterlagen eines öffentlichen Auftraggebers vor, dass etwaige Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen des Auftragnehmers nicht Vertragsbestandteil werden, und stellt ein Bieter mit seinem Angebot abweichende Zahlungsbedingungen, können diese infolge der Abwehrklausel des Auftraggebers im Falle der Auftragserteilung keine rechtliche Wirkung entfalten. Ein Ausschluss des Angebots wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen ist nicht erforderlich und nicht zulässig.

• Auch ohne eine Abwehrklausel kann ein Angebot, dem der Bieter eigene Vertragsbedingungen beigefügt hat, in der Wertung verbleiben, wenn nach bloßer Streichung des Hinzugefügten ein dem maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorliegt.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Tiefbauarbeiten im offenen Verfahren nach der EU VOB/A europaweit ausgeschrieben. Die den Vergabeunterlagen beigefügten Zahlungsbedingungen sahen in § 8 ZVB-Bau vor, dass die Zahlungen innerhalb von 30 Kalendertagen nach Abnahme erfolgen sollten.

Ebenfalls enthielten die ZVB-Bau in § 1 Abs. 1.3 eine sog. Abwehrklausel folgenden Inhalts: Etwaige Vorverträge, Protokolle oder sonstige Korrespondenz im Zusammenhang mit dem Abschluss dieses Vertrages, insbesondere Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen des AN sind nicht Vertragsbestandteil. Bieter A gab ein Angebot ab, das den Zusatz enthielt: „….zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug.“ Der AG schloss das Angebot des A wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen aus. Bieter A verklagte darauf den AG auf Schadensersatz in Höhe von 185.000 EUR, gerichtet auf das positive Interesse, vor dem Landgericht. Nach Abweisung seiner Klage durch das LG und auch seiner Berufung durch das OLG verfolgte A seine Forderung mit der Revision zum BGH weiter.

Der BGH gibt Bieter A Recht. Das Angebot des A sei zu Unrecht gemäß § 16 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 EU VOB/A ausgeschlossen worden. Es sei zutreffend davon auszugehen, dass die ZVB-Bau, in deren § 8 die Modalitäten über die Schlusszahlung geregelt seien, im Falle der Zuschlagserteilung zum Vertragsinhalt erhoben werden sollten und dementsprechend für die abzugebenden Angebote maßgeblich gewesen seien. Diese Klausel habe Abwehrcharakter und ziele darauf, den Ausschluss solcher Angebote nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5, § 16 EU Nr. 2 VOB/A zu vermeiden, denen der Bieter unter anderem eigene Vertragsklauseln, insbesondere Allgemeine Geschäftsbedingungen, beigegeben habe. In Anbetracht der Bindung des öffentlichen Auftraggebers namentlich an die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) liege aus der maßgeblichen objektiven Sicht der potenziellen Bieter an sich die Annahme fern, die mit den Vergabeunterlagen vom AG vorgegebenen Bestimmungen wie etwa die Allgemeinen, Besonderen und Zusätzlichen Vertragsbedingungen (§ 8a EU VOB/A) oder ähnliche ergänzende Regelungen dürften bieterseitig durch eigene Klauseln oder Allgemeine Geschäftsbedingungen ersetzt oder sonst abgewandelt werden. Füge daher ein Bieter seinem Angebot in einem Vergabewettbewerb, insbesondere in einem solchen nach dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, gleichwohl eigene Allgemeine Geschäftsbedingungen bei, deute dies auf ein Missverständnis der Bindungen des öffentlichen AG bei der öffentlichen Auftragsvergabe hin, denen der Bieter aber voraussichtlich von vornherein Rechnung getragen hätte, wenn ihm diese bewusst gewesen wären. Die Regelung in § 1 Abs. 1.3 ZVB – Bau ermögliche es daher in solchen Fällen, das Angebot in der Wertung zu belassen. Nur das entspreche dem mit der VOB/A 2009 vollzogenen Wertewandel, wonach die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender Mängel reduziert werden sollte.

Die hier von A in seinem Angebot eingebrachte Zahlungsmodalität falle direkt in den Anwendungsbereich der Abwehrklausel in § 1 Abs. 1.3 ZVB-Bau, wobei dahinstehen könne, ob die von A verwendete Klausel eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstelle oder nicht. Sie habe jedenfalls als Abweichung von den nach § 1 Abs. 1.3 ZVB-Bau maßgeblichen Unterlagen und Protokollen nicht Vertragsbestandteil werden können. Dementsprechend habe der AG keinen Anlass und es habe kein Raum dafür bestanden, das Angebot des A wegen vermeintlicher Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen.

Unabhängig davon, dass das Angebot nach dem vorstehend Ausgeführten wegen der Regelung in § 1 Abs. 1.3 ZVB-Bau nicht als Änderung an den Vergabeunterlagen ausgeschlossen hätte werden dürfen, hätte es auch ohne Geltung dieser Klausel nicht wegen der vermeintlich zwingenden Ausschlussfolge des § 16 EU Nr. 2 VOB/A ohne vorheriges Bietergespräch zum Zwecke der Klarstellung des Angebotsinhalts (§ 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A) ausgeschlossen werden dürfen. Denn zu den in § 3 des Angebotsschreibens vorformulierten Bekundungen gehöre die Erklärung des AG, dass „wir neben den oben genannten Angebotsinhalten keine eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Bestandteil unseres Angebots machen.“ Dazu habe der Zusatz bei der Angebotsendsumme des A in Widerspruch gestanden. Das Angebot habe dementsprechend keinen von den Vergabeunterlagen abweichenden Inhalt, sondern sei in diesem Punkt lediglich nicht eindeutig, das heißt, der AG hätte nach § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A insoweit Aufklärung über das Angebot selbst verlangen dürfen und müssen.

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Anmerkung:
Das Urteil des BGH wird von einigen Vergabejuristen – nicht ganz zu Unrecht – als „Paukenschlag aus Karlsruhe“ bezeichnet, stellt es doch einen erheblichen Paradigmenwechsel dar. Bisher konnte der AG in den Fällen, in denen sich im Angebot eines Bieters – z. B. auch in dessen AGB – Abweichungen zu den in den Vergabeunterlagen vorgegebenen Klauseln fanden, das Angebot unmittelbar ausschließen. Nach der o.g. Entscheidung des BGH wird dies nicht mehr ohne weiteres möglich sein. Vielmehr gilt nun folgendes: Der AG hat bereits bei der Angebotsprüfung die Vertragsklauseln entsprechend zu berücksichtigen, insbesondere, wenn Angaben im Angebot eines Bieters zu seinen Vertragsklauseln widersprüchlich erscheinen. Nach Ansicht des BGH beruhen abweichende Formulierungen des Bieters in aller Regel auf einem Missverständnis des Bieters über die Vorgaben in den Vergabeunterlagen, die der AG aufzuklären hat. In dieser Aufklärung kann sich dann der Bieter von seinen abweichenden Klauseln oder Formulierungen distanzieren – mit der Folge, dass sein Angebot weiter in der Wertung bleiben kann.

  Quelle:


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