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Vorsorgliche Einholung von Nachweisen und Erklärungen?

12.05.2020

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Sachsen hat mit Beschluss vom 16.01.2020 – 1 /SVK/040-19 – u. a. folgendes entschieden:

• Behält sich der Auftraggeber vor, die Vorlage von Nachweisen und Erklärungenerstmals nach Angebotsabgabe zu verlangen, hängt die Angemessenheit der hierfür gesetzten Frist nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist auf die Bedeutung und den Umfang der geforderten vorbehaltenen Erklärungen oder Nachweise abzustellen und vor allem, ob diese von Dritten beschafft werden müssen.

• Eine Obliegenheit der Bieter, Nachweise oder Erklärungen, deren Vorlage sich der Auftraggeber vorbehalten hat, schon vor Angebotsabgabe – gewissermaßen vorsorglich – einzuholen und bereitzuhalten, besteht nicht. Dies würde dem Sinn und Zweck des Vorbehalts der Anforderung widersprechen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Rohbauarbeiten im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. In den Vergabeunterlagen hatte sich der AG ausdrücklich vorbehalten, Verpflichtungserklärungen der Nachunternehmer nach Angebotsabgabe anzufordern. Bieter A gab ein Angebot ab, das nach der Wertung auf dem 2. Platz lag.

Der Zuschlag sollte – laut Vorab-Informationsschreiben des AG – auf das preislich günstigste Angebot des Bieters B erteilt werden. A rügte das Angebot des Bieters B als unauskömmlich und forderte dessen Ausschluss. Darauf trat der AG erneut in die Wertung ein und forderte A auf, Verpflichtungserklärungen seiner Nachunternehmer innerhalb von 4 Tagen (inkl. Wochenende) vorzulegen. Da A die geforderten Erklärungen nicht rechtzeitig vorlegte, schloss der AG dessen Angebot aus, worauf A Nachprüfung bei der VK beantragte.

Die VK weist den Antrag als unbegründet zurück. Hier habe der Preisabstand zwischen dem Angebot des A und Bieter B ca. 35 Prozent betragen; das Angebot des B sei 4 Prozent niedriger als die Kostenschätzung des AG gewesen. Gemäß § 16d Abs. 1 Nr. 2 EU VOB/A habe der AG, wenn der Preis eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheine und anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen sei, vom Bieter Aufklärung zu verlangen. Dieser Verpflichtung zur Aufklärung des Angebotes des B sei der AG hier nachgekommen. Er sei auch vertretbar zu dem Ergebnis gelangt, dass das Angebot des B auskömmlich sei; er habe nach seinem Prüfergebnis nicht davon ausgehen können, dass es sich bei dem Angebot des B um ein vergaberechtswidriges Unterkostenangebot handele. Damit habe aber Bieter A mit seinem zweitplatzierten Angebot keine Chance auf den Zuschlag haben können, weshalb sein Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückzuweisen sei.

Daher könne es hier dahinstehen, dass der Ausschluss des Angebots des A wegen vermeintlich zu spät vorgelegter Verpflichtungserklärungen der Nachunternehmer gemäß § 16 Nr. 4 EU VOB/A rechtswidrig gewesen sei. Bei diesen Verpflichtungserklärungen handele es sich um Erklärungen, deren Vorlage sich der Auftraggeber ausweislich der Vergabeunterlagen vorbehalten habe. Sie seien mithin erstmalig von A gefordert worden. Nach § 16 Nr. 4 EU VOB/A seien Angebote, bei denen sich der Auftraggeber die Vorlage von Erklärungen vorbehalten habe und diese auf Anforderung nicht innerhalb einer angemessenen, nach dem Kalender bestimmten Frist vorgelegt worden seien, auszuschließen. Diese Voraussetzungen seien hier aber nicht erfüllt, da der AG dem A keine angemessene Frist gewährt habe, sondern eine unangemessen kurze. Welche Frist angemessen sei, müsse der Auftraggeber stets anhand der Umstände im Einzelfall ermitteln. Für die Frage der Angemessenheit dieser Frist sei auf die Bedeutung und den Umfang der Erklärungen oder Nachweise abzustellen, die der Auftraggeber erstmals nach Angebotsabgabe anfordere. Vor allem sei zu berücksichtigen, ob es sich um Erklärungen oder Nachweise handele, die der mit der Nachweispflicht belastete Bieter von Dritten (Behörden, Nachunternehmern, Banken/Versicherungen, etc.) beschaffen müsse. Danach habe der Auftraggeber die Beschaffungsdauer zu berücksichtigen.

Eine Obliegenheit (aller) Bieter, derartige Nachweise oder Erklärungen schon vor Angebotsabgabe – gewissermaßen vorsorglich – einzuholen und bereitzuhalten, bestehe nicht, denn eine solche Obliegenheit würde dem Sinn und Zweck des Vorbehalts der Anforderung widersprechen. Vor diesem Hintergrund werde vertreten, dass – ebenso wie bei § 15 Abs. 2 EU VOB/A – für das Anfordern von vorbehaltenen Unterlagen gemäß § 16 EU Nr. 4 in der Regel eine Frist von sechs Tagen in Anlehnung an § 16a Abs. 4 Satz 2 EU VOB/A nicht ausreiche bzw., dass eine Frist von weniger als einer Woche in der Regel unzumutbar sei. Hier habe der AG dem Bieter A eine Frist von nur 2,5 Werktagen für die Vorlage von insgesamt 8 Nachunternehmer – Verpflichtungserklärungen gesetzt. Es habe sich dabei um umfangreiche Unterlagen gehandelt, welche erst von Dritten beschafft werden mussten. Die dafür gesetzte Frist war keineswegs angemessen im Sinne des § 16 Nr. 4 EU VOB/A.

Soweit der AG hierzu in der Antragserwiderung geltend mache, A hätte davon ausgehen müssen, dass die Verpflichtungserklärungen angefordert würden und er somit „an sich“ bereits zum Zeitpunkt der Angebotseinreichung über diese hätte verfügen müssen, widerspreche dies gerade dem Sinn und Zweck der vom AG gewählten Vorgehensweise, die Nachunternehmer-Verpflichtungserklärungen nicht mit Angebotsabgabe, sondern erst auf ausdrückliche (vorbehaltene) Anforderung zu verlangen. Entgegen der Auffassung des AG handele es sich bei 8 Verpflichtungserklärungen von Nachunternehmen (Fremdbescheinigungen) auch nicht um einfach und schnell zu beschaffende Unterlagen. Der Umstand, dass hier dem A kurz vor Fristablauf bereits alle Verpflichtungserklärungen vorgelegen hätten, ändere nichts daran, dass die gesetzte Frist unangemessen kurz bemessen gewesen sei. Auch soweit hier A auf Probleme mit der Übermittlung der Verpflichtungserklärungen an den Auftraggeber per Fax aufmerksam gemacht habe, sei dies für die Frage der Angemessenheit der Frist nicht zu berücksichtigen. Allein entscheidend sei, dass die gesetzte Frist für die Beschaffung und Übermittlung von 8 Verpflichtungserklärungen schlicht unangemessen kurz gewesen sei. Der Ausschluss des Angebotes des A habe daher nicht auf § 16 Nr. 4 EU VOB/A gestützt werden können.

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Anmerkung:
Auftraggeber sollten grundsätzlich folgendes beachten:
• Werden Nachweise und Erklärungen die bereits mit dem Angebot vorzulegen waren, gemäß § 16a EU VOB/A nachgefordert, ist gemäß § 16a Abs. 4 EU VOB/A eine Mindestfrist von 6 KT zwingend einzuhalten.

• Behält sich der AG dagegen in den Vergabeunterlagen vor, die Vorlage von Nachweisen und Erklärungen erst nach Angebotsabgabe zu fordern, sollte er sorgfältig überlegen, wie lange er die Frist nach § 16 Nr. 4 EU VOB/A bemisst und dabei insbesondere die Dauer zur Beschaffung der Unterlagen berücksichtigen. Auch hier wäre ihm zu raten, die o. g. Frist der 6 KT nicht zu unterschreiten, sondern eher eine etwas längere Frist vorzusehen.

  Quelle:


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