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Wann darf der Auftraggeber den Beschaffungsgegenstand noch ändern?

26.04.2013

Die Vergabekammer Rheinland-Pfalz (VK) hat mit Beschluss vom 6. Februar 2013 – VK 1-35/12 – u. a. Folgendes entschieden:

Eine Änderung des Beschaffungsgegenstandes nach den Grundsätzen des § 1 Nr. 3, § 2 Nr. 5 VOB/B nach Vertragsschluss ist vergaberechtlich unzulässig, wenn der Auftraggeber bereits vor Zuschlagserteilung entschlossen ist, die entsprechenden Änderungen vorzunehmen und damit die Möglichkeit einer empfindlichen Störung des Wettbewerbsergebnisses einhergeht. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, dass bei geänderter Beschaffungsabsicht eine andere Bieterreihenfolge für die Zuschlagserteilung wahrscheinlich oder nicht auszuschließen wäre.

Eine öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Erd- und Straßenbauarbeiten im Offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Als Zuschlagskriterium waren der Preis mit einer Gewichtung von 90 % und das Kriterium „Technischer Wert“ mit einer Gewichtung von 10 % vorgesehen. Nach der Vergabebekanntmachung waren Nebenangebote ausgeschlossen, in den Vergabeunterlagen waren diese wieder zugelassen. Mehrere Bieter gaben darauf, darunter die drei bestplazierten, Nebenangebote ab, die den Einbau von Recyclingmaterial als hydraulisch gebundene Tragschicht in den Straßenkörper vorsahen und zu Kosteneinsparungen zwischen 2.500 Euro und 115.000 Euro geführt hätten. Die Angebotssumme des Zweitplazierten wich um ca. 40.000 Euro von der Endsumme des Erstplazierten ab. Schließlich hob der AG die Ausschreibung auf und begründete dies u. a. mit der Notwendigkeit der grundlegenden Änderung der Vergabeunterlagen, welche als Amtsvorschlag nunmehr die Verwendung von Recyclingmaterial als hydraulisch gebundene Tragschicht in den Straßenkörper vorsehen sollten. Dagegen richtete sich das Nachprüfungsverfahren des zweitplazierten Bieters B mit dem Argument, dass kein Aufhebungsgrund gemäß § 17 VOB/A vorliege.

Die VK hält hier den Antrag auf Aufhebung und Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Aufhebung für unbegründet. Die VK begründet sehr ausführlich, dass der AG seine Aufhebungsentscheidung nicht auf einen rechtmäßigen Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A stützen könne. § 17 VOB/A sei als „Kann-Bestimmung“ zu klassifizieren, d. h. die Entscheidung über die Aufhebung werde in das pflichtgemäße Ermessen des AG gestellt. Die Aufhebungsentscheidung als solche sei damit eine von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung. Allerdings seien die Voraussetzungen des § 17 VOB/A im vollen Umfang überprüfbar.

Obwohl kein Grund des § 17 VOB/A vorliege, habe die „rechtswidrige Aufhebung“ gleichwohl vergaberechtlich Bestand. Denn sie erfolge nicht willkürlich, sondern aufgrund eines sachlich vorliegenden, vernünftigen Grundes. Das Bestimmungsrecht des Auftraggebers ermögliche es ihm, den „besten“ Beschaffungsgegenstand zu besorgen. Er könne nicht zur Fortsetzung der Beschaffung eines nicht länger gewünschten Gegenstandes gezwungen werden. Der AG wollte hier seinen Beschaffungsbedarf hinsichtlich der technischen Leistungserbringung neu definieren. Die vertragsrechtliche Möglichkeit, im Wege einer einseitigen Anordnung nach § 1 Nr. 3 VOB/B Änderung des Beschaffungsgegenstands zu beauftragen oder die entstehenden Minder- oder Mehrkosten nach § 2 Nr. 5 VOB/B auszugleichen, würde vergaberechtlich gegen das Prinzip des fairen Wettbewerbs sowie gegen das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot verstoßen. Im Vergabeverfahren seien in Übereinstimmung mit den Vergabeunterlagen Nebenangebote eingereicht worden, welche allerdings nach der Vergabebekanntmachung unzulässig gewesen seien. Bei einem derartigen Widerspruch gelangten die Bestimmungen der Vergabebekanntmachung zur Anwendung, da diese auch regelmäßig die Entscheidungsgrundlage für einen Bewerber hinsichtlich der Teilnahme am Wettbewerb seien. Würde der AG nunmehr in Kenntnis aller Umstände einen Vertrag schließen und sodann von seinem Anordnungsrecht und der daraus folgenden Vergütungsanpassung Gebrauch machen, liefe das letztlich in vergaberechtswidriger Weise darauf hinaus, auf ein nicht zugelassenes Nebenangebot den Zuschlag zu erteilen. Vor Vertragsschluss feststehende Änderungen des Beschaffungsgegenstandes seien nur dann vergaberechtlich unschädlich, wenn keine empfindliche Störung des Wettbewerbsergebnisses möglich sei. Eine empfindliche Störung sei stets bei einer möglich geänderten Bieterreihenfolge und der Aussicht, dass ein anderes Unternehmen den Zuschlag erhalten müsste, gegeben.

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Anmerkung:
Obwohl hier die Vergabekammer aus unterschiedlichsten Gründen die Aufhebung der Aufhebungsentscheidung um Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor der Aufhebung ablehnt, sind die Ausführungen zu Inhalt und Grenzen der Änderung des Beschaffungsgegenstandes sehr zu begrüßen. Denn die Entscheidung schränkt den Änderungsspielraum des Auftraggebers während einer laufenden Ausschreibung aus sachgerechten Gründen ein. Nicht nur die Identität des Beschaffungsgegenstandes muss dabei gewahrt bleiben, sondern auch die Auswirkungen auf die mögliche Beteiligung anderer Unternehmer und auf die Bieterreihenfolge sind zwingend zu berücksichtigen.

  Quelle: RA Michael Werner


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