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Wartefrist missachtet – Vertrag unwirksam!

20.07.2021

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Lüneburg hat mit Beschluss vom 11.01.2021 – VgK-51/2020 – folgendes entschieden:

• Der öffentliche Auftraggeber muss die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden, vor Vertragsschluss in Textform über den beabsichtigten Zuschlagsempfänger, die Gründe der Nichtberücksichtigung ihres Angebots und den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses informieren.

• Ein Zuschlag darf erst nach Ablauf der Wartefrist, die einen Tag nach Absendung der Information beginnt, geschlossen werden.

• Erteilt der Auftraggeber den Zuschlag bereits am Tag nach dem Versand der Vorabinformation, ist der Vertrag von Anfang an unwirksam.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Lieferleistung in zwei Losen europaweit im offenen Verfahren gemäß VgV ausgeschrieben. Nach der Bekanntmachung und der Aufforderung zur Angebotsabgabe war der Preis das einzige Zuschlagskriterium. Im Rahmen der Angebotswertung kam eine Bewertungsmatrix zur Anwendung, wonach der AG den Preis sowie erzielbare Leistungspunkte je mit 50 Prozent wertete. In beiden Kriterien waren maximal je 500 Punkte zu erreichen. Diese Bewertungsmatrix wurde den Bietern vorab nicht bekannt gegeben. Im LV waren einige Positionen als sog. „K.o.–Kriterien“ gekennzeichnet, zu weiteren Positionen wurden Hinweise zur Punktebewertung und deren Gewichtung gegeben. Nur zwei Bieter gaben Angebote – jeweils auf beide Lose – ab.

Nach der Auswertungsmatrix erzielte das Angebot des A bezüglich des Preises 500 Punkte und das des B 492 Punkte, nach der Gesamtauswertung unter Einbezug der Leistungspunkte lag jedoch B mit 966 Punkten auf Rang 1 und A mit 929 Punkten auf Rang 2. Mit postalischem Bieterinformationsschreiben vom 08.12.2020 teilte der AG dem Bieter A mit, den Zuschlag am 10.12.2020 auf das Angebot des B erteilen zu wollen. Das Angebot von A sei von der Wertung ausgeschlossen worden, da es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfüllt habe. Am 09.12.2020 erteilte darauf der AG dem B den Zuschlag für seine Angebote zu beiden Losen. A rügte nach Zuschlagserteilung die angekündigte Nichteinhaltung der Wartefrist von 15 Kalendertagen sowie den Ausschluss seines Angebots. Die Rüge wurde zurückgewiesen, wobei der AG das Informationsschreiben selbst als fehlerhaft bezeichnete, da A den Zuschlag aus einem anderen Grund nicht erhalten habe, nämlich weil er gemäß Bewertungsmatrix nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Der Rüge betreffend die Nichteinhaltung der Wartepflicht gem. § 134 Abs. 2 GWB half er nicht ab mit dem Argument, dass das Vergabeverfahren aufgrund Zuschlagserteilung beendet sei und nicht mehr aufgenommen werden könne. Daraufhin stellte A einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer.

Die VK gibt dem Bieter A Recht. Der Bieter A sei durch die Erteilung des Zuschlags an B gem. § 97 Abs. 6 GWB in seinen Rechten verletzt. Der AG habe seine Wartepflicht aus § 134 Abs. 2 GWB missachtet. Der zwischen dem AG und B am 09.12.2020 geschlossene Vertrag über die zu erbringende Lieferleistung sei daher von Anfang an unwirksam.

Der AG habe unstreitig seine Wartepflicht aus dem einschlägigen § 134 Abs. 2 GWB versäumt, indem er dem Bieter B den Zuschlag bereits einen Tag nach Erteilung der Information gem. § 134 GWB erteilt habe. Er hätte den Zuschlag gem. § 134 Abs. 2 Satz 1 erst 15 Kalendertage nach Absendung der Information gem. § 134 GWB erteilen dürfen, da er die Information mit postalischem Versand per einfachem Brief versandt habe. Auch sei der mit seinem Angebot zweitplatzierte Bieter A in seinen Rechten verletzt, denn der Vergaberechtsverstoß habe sich kausal auf seine Zuschlagschance ausgewirkt.

Der zunächst schwebend wirksame Vertrag zwischen AG und B werde durch diese Feststellung der Vergabekammer von Anfang an unwirksam. Der AG habe das Vergabeverfahren in den Stand vor Wertung der Angebote zurückzuversetzen. Dabei ist er gehalten, wie in der Bekanntmachung und der Aufforderung zu Angebotsabgabe erklärt, das wirtschaftlichste Angebot allein nach dem günstigsten Preis zu ermitteln. Dies werde ergeben, dass das Angebot des A vorne liege. Denn den Ausschluss des Angebots des A habe der AG bereits selbst zu Recht als Irrtum bezeichnet, weil die vermeintlich fehlende Längenangabe zur Position 1.4 des Leistungsverzeichnisses doch vorgelegen habe. Die Tatsache, dass der AG später mit einer – den Bietern nicht zur Kenntnis gegebenen – Bewertungsmatrix vom 27.10.2020 auf eine Kombination aus Preis- und Qualitätswertung umgestellt habe, sei insoweit unerheblich. Maßgeblich sei die Bekanntmachung und die Aufforderung zur Angebotsabgabe. Es komme hinzu, dass sich der AG bei seiner Preis- und Qualitätswertung versehen habe und dass nach Auffassung der Vergabekammer auch nach dieser – vergaberechtswidrigen – Wertung das Angebot des A auf dem ersten Platz liegen würde.

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Anmerkung:
Im vorliegenden Fall hat der AG gleich mehrere „kapitale Böcke geschossen“. Erstens hat er es unterlassen, die zur Anwendung gebrachte Bewertungsmatrix von vornherein den Bietern bekanntzugeben. Zweitens hat er unzulässigerweise während des Verfahrens auf eine Kombination aus Preis- und Qualitätswertung umgestellt, obwohl er in der Bekanntmachung eindeutig angegeben hatte, dass allein der Preis einziges Zuschlagskriterium ist. Und drittens – der „größte Bock schlechthin“ – hat er bereits einen Tag nach Versendung der Information gemäß § 134 GWB dem Bieter B den Zuschlag erteilt.

Die Informations- und Wartepflicht gem. § 134 GWB ist durch den AG absolut zwingend einzuhalten, d. h. ergeht die Info per Post, darf der Zuschlag erst 15 Kalendertage nach deren Absendung erteilt werden, ergeht sie auf elektronischem Wege oder per Fax, verkürzt sich diese Frist auf 10 Kalendertage, wobei Fristbeginn jeweils der Tag nach Absendung der Info ist. Wird der Zuschlag dagegen z. B. nur einen einzigen Tag vor Fristablauf erteilt, ist der Vertrag gem. § 135 Abs. 1 GWB in aller Regel unwirksam, wenn der Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren geltend gemacht wird. Dazu muss der Antrag innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der Bieter durch den AG über den Zuschlag, jedoch nicht später als 6 Monate nach Vertragsschluss gestellt werden. Diese Frist verkürzt sich dann auf 30 Kalendertage, wenn die Auftragsvergabe im EU-Amtsblatt bekanntgemacht wird.

  Quelle:


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