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Widerrufsrecht nur bei gleichzeitiger Anwesenheit!

26.10.2023

Nimmt ein Verbraucher einen vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes An-gebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich an, so liegt kein Fall des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB vor mit der Folge, dass dem Besteller ein Widerrufsrecht nicht zusteht. Dies hat der BGH mit Urteil vom 06.07.2023 (Az.: VII ZR 151/22) entschieden.

 

Portrait Michael Seitz

 

Der Fall: AG, Eigentümer eines Reihenhauses, erteilt dem Dachdeckerbetrieb AN ein Auftrag unter anderem für Abdichtungsarbeiten. Bei Ausführung der Arbeiten stellt AN fest, dass der Wandanschluss des Daches defekt ist. Er unterbreitet dem AG telefonisch ein Angebot und unterrichtete ihn dabei über die voraussichtliche Dauer der Arbeiten und die Vergütungshöhe. Am nächsten Tag auf der Baustelle nimmt AG das Angebot mündlich an, auch weil bei einer Annahme zu einem späteren Zeitpunkt zusätzliche Kosten entstanden wären, da eine erneute Aufstellung des Gerüstes nötig gewesen wäre. AN führt die beauftragten Arbeiten mangelfrei aus und stellt Schlussrechnung für beide Aufträge, die AG anstandslos und vollständig bezahlt. Gut ein Jahr später erklärt AG den Widerruf beider Verträge, händigt AN einen Flyer mit dem Titel "Der Handwerkerwiderruf" aus und erklärt unumwunden, er wolle aus dem Handwerkerwiderruf ein "Geschäftsmodell" machen. Nachdem AN sich weigert, den gezahlten Werklohn zurückzuerstatten, erhebt AG Klage.

Das Urteil: Das Amtsgericht weist in erster Instanz die Klage ab, das Verhalten des AG sei rechtsmissbräuchlich. Das Landgericht hingegen verurteilt in zweiter Instanz AN zur Rückzahlung. Der BGH hebt dieses Urteil auf und verweist die Sache zur Durchführung einer Beweisaufnahme an das Landgericht zurück. Ein Widerrufsrecht nach der Vorschrift des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB sei nur gegeben, wenn beide Vertragsparteien beim Vertragsschluss gleichzeitig anwesend seien und sowohl das Angebot als auch die Annahme bei dieser Gelegenheit erklärt werden. AN hatte hierzu vorgetragen, er habe das Angebot zur Durchführung der zusätzlichen Arbeiten bereits am Tag vor dem Zusammentreffen auf der Baustelle und der Annahme durch AG erteilt. Zu Unrecht habe das Landgericht diese Frage offengelassen, sodass hierzu noch Beweis erhoben werden muss. Sollte sich dabei die Darstellung des AN als richtig erweisen, steht dem AG kein Widerrufsrecht zu. Dann nämlich sei lediglich die Annahme "außerhalb von Geschäftsräumen" im Sinne des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB erfolgt. Sinn und Zweck der Regelung sei es, AG vor übereilten Entscheidungen zu schützen. Dieser Schutzzweck sei aber erreicht, wenn AN das Angebot bereits am Vortag vorlag und er daher in die Lage versetzt worden sei, das Angebot bis zu dessen Annahme am Folgetag zu überdenken. Nur wenn die Parteien bei gleichzeitiger Anwesenheit außerhalb von Geschäftsräumen sowohl Angebot als auch Annahme erklären, sei daher ein Widerrufsrecht gegeben. Auch eine Vorlage dieser Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof lehnt der BGH ab, da die von ihm getroffene Auslegung keinen vernünftigen Zweifel unterliege.

Fazit: In der Tat entwickelt sich der sogenannte "Handwerkerwiderruf" zunehmend zu einem Geschäftsmodell cleverer Bauherren bzw. ihre Anwälte. Auch völlig fehlerfrei erbrachte und abgenommene Leistungen werden bei fehlender Widerrufsbelehrung nach ihrem Abschluss widerrufen, weil die Widerrufsfrist bei mangelnder Belehrung ein Jahr und zwei Wochen beträgt. Nicht einmal das verbaute Material kann der Bauunternehmer in der Regel zurückverlangen, weil es gemäß § 946 BGB untrennbar mit dem Gebäude verbunden wird und daher kraft Gesetzes in das Eigentum des Grundstückseigentümers übergeht. Ebensowenig erhält der Handwerker Wertersatz für die erbrachten Leistungen. Der BGH ist nun erkennbar bemüht, diese offensichtliche Ungerechtigkeit soweit wie möglich einzugrenzen. Daher legt er die im Europarecht wurzelnde Bestimmung des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB dahingehend aus, dass alle für den Vertragsschluss erforderlichen Handlungen, also sowohl das Angebot des einen als auch die Annahme durch den anderen Vertragspartner gleichzeitig außerhalb von Geschäftsräumen erfolgen müssen. Liegt hingegen dem Besteller das Angebot bereits vor der gleichzeitigen Anwesenheit beider Parteien außerhalb von Geschäftsräumen vor und nimmt er dieses dann lediglich noch an, so hat er Gelegenheit, über die Annahme des Angebotes vorher nachzudenken und ist mithin hinreichend geschützt, sodass ihm ein Widerrufsrecht nicht zusteht. Damit hat der BGH die "Belehrungspflichten" des Handwerkers in einer solchen Konstellation ganz wesentlich erleichtert. Ob der Europäische Gerichtshof dies im Falle seiner Befassung allerdings genauso sehen würde, bleibt bis auf Weiteres offen.

  Quelle: Anwalt Seitz


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