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Wissenschaftler bringen die Blätter des Hainich zum Sprechen

20.07.2012

Internationales Forschungsprojekt untersucht das Ökosystem Laubwald

Von Andreas Göbel
Mit einem kritischen Blick prüft Casten Beinhoff noch einmal den Halt der Seile in den Baumkronen. Flink und mit gekonnten Bewegungen klettert er schließlich hinauf zu dem mehr als 30 Meter über dem Waldboden gelegenen Arbeitsplatz in den Wipfeln des Hainich. Die jungen Buchen, die er besteigt, sind die letzten von 308 Bäumen im Wald, die Beinhoff für die Wissenschaft um ein paar Blätter und Zweige erleichtern wird. Seit fast zwei Wochen arbeitet das internationale Team aus Wissenschaftlern im Nationalpark Hainich (Unstrut-Hainich-Kreis), um Grundlagenforschung zu betreiben. Innerhalb von vier Jahren sollen sechs große Waldflächen in ganz Europa unter die Lupe genommen werden, von Spanien bis hinauf nach Finnland. Die ausgedehnten Laubwälder des Hainich sind der deutsche Beitrag zur Forschung. 24 Universitäten aus 17 Ländern beteiligen sich an dem Großprojekt. Eines der Hauptziele sei es, die Auswirkungen der Artenvielfalt auf das Ökosystem Wald genauer zu untersuchen, sagt Projektmanagerin Sandra Müller von der Universität Freiburg. Wasser- und Nährstoffkreisläufe, Bodenbeschaffenheit, Insekten- und Pilzbestände an den Bäumen seien nur einige der Faktoren, die von den Teams genauestens durchleuchtet würden.

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Foto: Jens-Ulrich Koch / dapd

Bei der Auswertung ist Eile geboten
Weit über ihr hat Beinhoff inzwischen die Krone erreicht und beginnt damit, geeignete Zweige aus dem Blätterdach zu entfernen. Aus der Lichtkrone, ganz oben im Baum müssen sie sein, und von der Südseite - wegen der Vergleichbarkeit der Proben, wie Sandra Müller erläutert. Um sie herum herrscht bereits reges Treiben. Rund ein Dutzend junger Wissenschaftler ist unter anderem damit beschäftigt, die Äste aufzusammeln, die Beinhoff und seine drei Kollegen in regelmäßigen Abständen aus der Höhe herabwerfen. Die Proben werden eingesammelt, registriert und so schnell wie möglich untersucht. Vor allem für die Feststellung der Photosyntheserate und den Pilzbefall müssten die Blätter so frisch wie möglich sein, erklärt Müller. Ein Stück entfernt ist die französische Wissenschaftlerin Virginie Guyot mit einem großen, auf einen quadratischen Rahmen gespannten Tuch unterwegs. Die junge Frau sammelt Spinnen, die als Räuber eine wichtige Rolle im Gleichgewicht der Natur spielen. Die Mitarbeiterin einer schwedischen Universität ist hingegen unter anderem am Eschensterben interessiert. Ihre Arbeit könnte Hinweise auf die Verbreitungswege der Krankheit liefern. Am Ende dieses „Rundumschlages“ erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel verschiedener Arten innerhalb des Waldes. Ein Gebiet, das Müller zufolge bislang erstaunlich wenig erforscht ist. „Bisher wurde meist untersucht, wie sich zwei oder drei Arten aufeinander auswirken“, sagt sie. „Untersuchungen mit so vielen Aspekten und dann auch noch europaweit - das ist bisher sehr selten.“ Vor allem hoffen die Forscher auf die Entdeckung von Gemeinsamkeiten. Von gleichen Mechanismen, die sowohl für die trockenen mediterranen Wälder gelten, als auch für die mittel- und nordeuropäischen Bestände. Das wäre ein Schlüssel zum besseren Verständnis der komplexen Wirkungsverhältnisse im Ökosystem Wald, sagt Müller. Die Schaffung von europaweit einheitlichen Richtlinien zum Umgang mit den Wäldern könne so erleichtert werden. Aber auch neue Erkenntnisse für die Holzproduktion, die Kohlenstoffspeicherung und die Sicherung der Wasserqualität werden erwartet.

  Quelle: dapd


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