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Wohnungsbau aus Infraleichtbeton

12.06.2020

Von der Forschung in die Praxis

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Einfache Gebäude mit robuster Baukonstruktion und reduzierter Gebäudetechnik sind hinsichtlich Ökobilanz und Lebenszykluskosten Standardbauten und aktuellen Passivhäusern überlegen.

Einfaches Bauen wird in Bad Aibling auf Energieeffizienz evaluiert. Als eines von drei Forschungshäusern ist nun ein mehrgeschossiger Wohnungsbau aus Infraleichtbeton fertiggestellt worden. Das kompakte, dreigeschossige Wohnhaus aus Infraleichtbeton ist der erste von drei monolithischen Bauten, die nach definierten Kriterien ausgeführt werden. Die Grundlage für den Bau und das Monitoring legten Wissenschaftler und Architekten des Forschungsprojekts „Einfach Bauen“ der Technischen Universität München (TUM). In diesem werden ganzheitliche Strategien für energieeffizientes, einfaches Bauen entwickelt. Als Bauherr für den beispielhaften Wohnungsbau konnte die B&O Gruppe gewonnen werden, die den Prinzipien des einfachen Bauens nahesteht. Das sozial engagierte Bauunternehmen, das bundesweit vor allem als Dienstleister für die Wohnungswirtschaft agiert, legt beim Neubau den Fokus auf eine schnelle, gleichermaßen hochwertige und solide Bauweise bei maximaler Energieeffizienz.

Einfache, nachhaltige Bauweise
Der erste Rohbau in Bad Aibling besteht aus 50 cm dicken, einschaligen Außenwänden, die aufgrund der Materialbeschaffenheit und Speichermasse des Infraleichtbetons ausreichende Wärmedämmung bieten. Das ausführende Bauunternehmen Watzlowik aus Brannenburg hat den Beton direkt aus dem Fahrmischer per Kübel in Großflächenschalungen eingebracht. „Eine sehr interessante Aufgabe“, befindet Martin Watzlowik, der den Familienbetrieb in vierter Generation führt und zum ersten Mal mit Infraleichtbeton arbeitet. Fassade und Innenwände des Hauses bleiben gleichermaßen betonsichtig.

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Der Beton wurde direkt aus dem Fahrmischer per Kübel in Großflächenschalungen eingebracht.

An der Fassade legten die Baufacharbeiter Rauspundbretter in die Schalung ein, um den charakteristischen Abdruck einer Brettmaserung zu erhalten. Darüber hinaus stellten die Architekten keine weiteren Anforderungen an die Oberflächengüte des Betons. Aufgrund seiner Zuschläge, einem Blähglasgemisch, hat er eine sehr natürliche authentische Anmutung. Unbewehrte Betonwände im Innern und 30 cm dicke Decken aus stahlfaserbewehrtem Beton erfüllen die Vorgaben an die Luftschalldämmung. Ein Bodenbelag, etwa Linoleum, erfüllt die Anforderungen an den Trittschall ohne weiteren Bodenaufbau.

Durchdachte Wohnqualität
Der Entwurf von Florian Nagler Architekten aus München sieht – nach dem Motto „form follows material“ – Fensterausschnitte vor, die den Eigenschaften des Baumaterials entsprechen. Ihre angemessene Größe macht Sonnenschutz überflüssig. Im Falle des Betonhauses bildeten Betonfacharbeiter die Ausschnitte für die Rundbogenfenster mit minimaler Toleranz aus. Bauunternehmer Watzlowik und sein Team haben die Fensterlaibungen so präzise gefertigt, dass die Holzfenster exakt eingepasst werden konnten und die Luftdichtigkeit mit einem Kompriband erfüllt wird. Die oberste Geschossdecke unter dem flach geneigten Satteldach wurde einfach mit Holzwolle gedämmt. Auf einer kompakten Gesamtgrundfläche von zehn auf 20 m sind acht unterschiedlich große Wohneinheiten auf drei Geschossebenen so angeordnet, dass die Räume die Vorgaben optimal erfüllen, die sich aus der vorangegangenen Forschung ergeben haben. Über drei Meter hohe Räume und großzügig durchbrochene Wände, die fließende Übergänge erzeugen, sorgen bei dieser Schottenbauweise für einen weiten Raumeindruck. Versorgungsleitungen verlaufen unter Fußleisten. Beheizt wird das Wohnhaus über ein Blockheizkraftwerk im Wohnquartier, das mit Holzhackschnitzeln befeuert wird, sich also eines nachwachsenden Rohstoffs bedient.

Impulse für moderne Stadtentwicklung
Gemäß den Zero-Waste-Prinzipien „Reduce, Reuse, Recycle“ setzt die B&O Gruppe auf Nachhaltigkeit und vermeidet die Übertechnisierung von Wohnraum. „Das neue Forschungshaus aus Infraleichtbeton steht im Null-Emissions-Quartier, das wir auf einem ehemaligen Kasernengelände entwickeln“, beschreibt Achim Mantel, Projektleiter des Unternehmens, den Standort. Neben Schulen und Kindergärten befinden sich dort vor allem beispielhafte Wohnbauten. Inzwischen gilt der Stadtteil, in dem das Thema „Energieeffizienz“ im städtebaulichen Maßstab zusammen mit der Hochschule in Rosenheim modellhaft bearbeitet wird, als Quartier mit Vorbildcharakter für moderne Stadtentwicklung. Am Wohnungsbau aus Infraleichtbeton werden nun die Simulationen der TUM in die Praxis umgesetzt und die Daten anhand von Messungen im bewohnten Zustand überprüft.

Infraleichtbeton für Wohnungsbau
„Infraleichtbeton vereint hohe Tragfähigkeit mit ausgezeichneter Wärmedämmung. Damit lassen sich monolithische Konstruktionen verwirklichen und Oberflächen vielfältig gestalten. Eine derartige Leistungsfähigkeit besitzt kein anderer Baustoff“, beschreibt Dr. Robert Lukas, Leiter Qualität Südostbayern von Heidelberger Beton das innovative Bauprodukt. Für das Forschungshaus aus Infraleichtbeton in Bad Aibling konnte auf eine gutachterlich geprüfte Rezeptur zurückgriffen werden, die Heidelberger Beton in mehreren Versuchen und unter Mitwirkung von Experten der Universität der Bundeswehr München (UniBW) bereits für das Wohnhaus Thalmair in Aiterbach entwickelt hat. Inzwischen hat sich dieser Beton schon bei mehreren Bauvorhaben in Bayern bewährt.

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Genau austarierte Fensteröffnungen machen Sonnenschutz überflüssig. Hier nutzen die Fensterausschnitte die Eigenschaften des formbaren Betons.

Fotos: @HeidelbergCement AG/ Michael Voit

Dennoch war eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) durch die Oberste Baubehörde im Bayerischen Ministerium des Inneren nötig, da diese für Bauten aus Leichtbeton mit Rohdichten unter 800 kg/m³ und/oder einer Druckfestigkeitsklasse kleiner LC12/13 gefordert ist. Der hochwärmedämmende Infraleichtbeton von Heidelberger Beton verfügt mit 700 kg/m³ bei einer Druckfestigkeit größer 8 N/mm² über eine noch geringere Rohdichte als Leichtbeton. Das Verdichtungsmaß entspricht bei der hier eingesetzten Rezeptur der Klasse C4. Um eine niedrige Wärmeleitfähigkeit von Lambda kleiner 0,185 W/mK zu erzielen, werden diesem Beton ein Blähglasgemisch (Liaver) und Blähton (Liapor) zugeführt. Außerdem ist noch ein fein abgestimmtes System aus Zusatzmitteln und Zusatzstoffen von SIKA sowie ein spezielles Zement- und Bindemittelgemisch nötig. Auf diese Weise ist die Rezeptur auf die Hydratationswärmeentwicklung in den 50 cm starken Wänden abgestimmt.

Einfach bauen
Wird das Bauen immer aufwendiger? Wird Klimaschutz an Gebäuden immer teurer und komplizierter? Und erreicht man mit dem enormen Aufwand überhaupt die geforderte Energieeffizienz? Mit ihrem laufenden Forschungsvorhaben „Integrale Strategien für energieeffizientes, einfaches Bauen mit Holz, Leichtbeton und hochwärmedämmendem Mauerwerk – Untersuchung der Wechselwirkungen von Raum, Konstruktion und Gebäudetechnik“ stellt die Technische Universität München (TUM) dem Trend neue Erkenntnisse entgegen. Ihre Forschungsergebnisse bestätigen die dem Projekt zugrundeliegende Hypothese, dass einfache Wohngebäude mit hochwertiger und gleichzeitig suffizienter Architektur, robuster Baukonstruktion und reduzierter Gebäudetechnik hinsichtlich Ökobilanz und Lebenszykluskosten sowohl Standardwohngebäuden als auch aktuellen Passivhäusern überlegen sind. „Wir wollen nachhaltig und wirtschaftlich bauen. Reduzierte Technikkonzepte erlauben eine einfache Handhabung und sind auch gegenüber Umwelteinflüssen robust“, weiß Projektarchitekt Tilmann Jarmer. So widersetzen sich die vereinfachten, aber architektonisch durchdachten Forschungshäuser auch derzeitigen Entwicklungen im Bau. Beim Infraleichtbetonhaus werden nun die Forschungsergebnisse erstmals mit der Praxis abgeglichen. Unterstützt von der Initiative „Zukunft Bau“ des Bundesbauministeriums kann das Forschungsprojekt damit in die zweite Runde gehen.

  Quelle: www.heidelbergcement.de


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