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Zu den Mindestanforderungen für Nebenangebote

21.06.2022

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 15.03.2022 - 11 Verg 10/21 – u.a. folgendes entschieden:

Lässt der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, hat er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 b) VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssen. Diese Bestimmung schützt die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lässt § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 b) VOB/A zum Schutz der Bieter keinen Raum.

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RA Michael Werner


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die „Errichtung einer neuen Infrastruktur“ in einem künftig zu schaffenden Wohnviertel im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Einziges Wertungskriterium war der Preis. Die Vergabe-unterlagen verwiesen dabei bezüglich der Frost- und Schottertragschichten von Trag- und Deckschichten auf die technischen Vertragsbedingungen; das LV selbst sah bei bestimmten Positionen die Verwendung „natürlicher Gesteinskörnungen“ vor. Nebenangebote (NA) für die gesamte Leistung waren nur in Verbindung mit dem Hauptangebot zugelassen. Dabei hieß es: „Nebenangebote müssen die geforderten Mindestanforderungen erfüllen. Dies ist mit der Angebotsabgabe nachzuweisen.“ In den Vergabeunterlagen waren explizit keine Mindestanforderungen für Nebenangebote festgelegt. Der Bieter A gab u.a. ein Nebenangebot ab, bei dem eine Frostschutzschicht aus Recycling Material (RC-Material) erstellt werden sollte. Der AG teilte A mit, dass das Nebenangebot nicht gewertet werden könne, da kein RC-Material gewünscht sei. Er beabsichtigte daher, den Zuschlag auf das Angebot eines anderen Bieters zu erteilen. A beantragte nach erfolgloser Rüge Nachprüfung zur VK.

Die VK gibt Bieter A Recht; der AG sei nicht berechtigt gewesen, das Nebenangebot (NA) des A gemäß § 16 EU Nr. 5 VOB/A auszuschließen.

Die Vergabeunterlagen hätten hier keine ausdrücklich als solche benannten Mindest-anforderungen an die zugelassenen NA enthalten. Zwar müssten Mindestanforderungen für Nebenangebote nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Jedoch sei erforderlich, dass der Bieter erkennen könne, dass es sich um eine Mindestanforderung handele. Eine solche Mindestanforderung auch für NA könne sich zB aus der Baubeschreibung ergeben, wenn eine dortige Regelung nach der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises nur im Sinne einer Mindestanforderung an NA verstanden werden könne. Bei Auslegung der Angaben des AG zu den entsprechenden Positionen, wonach die Schotter- und Frosttragschichten aus natürlichen Gesteinskörnungen zu bestehen hätten, ergebe sich aber nicht, dass diese Vorgaben von einem Bieter im Sinne einer Mindestanforderung auch für NA zu verstehen seien. Das LV befasse sich als sachlich-technischer Orientierungsmaßstab grundsätzlich lediglich mit den Anforderungen, die an das Hauptangebot gestellt würden. Sinn eines NA sei es aber, eine davon abweichende Leistung vorzuschlagen. Würde man also die Mindestanforderungen an NA mit den Anforderungen an Hauptangebote gleichstellen, könnte es keine Nebenangebote mehr geben, weil diese dem LV gerade nicht entsprächen. Daher sei grundsätzlich eine Vorgabe des LV nicht als Mindestanforderung für die Nebenangebote zu verstehen.

Etwas anderes könne dann gelten, wenn sich eine Vorgabe im LV etwa auf eine bestimmte Technik oder Ausführung beziehe, die nicht Gegenstand des Hauptangebots sein könne. In einem solchen Fall könne trotz fehlender ausdrücklicher Bezeichnung als Mindestanforderung die Vorgabe im LV oder der Baubeschreibung als Mindestanforderung auszulegen sein. So liege der Fall hier aber nicht. Die Vorgaben der Verwendung "natürlicher Gesteinskörnungen" sollten und seien auch von den Bietern als Anforderungen an das Hauptangebot verstanden worden. Anhaltspunkte, die dafür sprächen, dass die Vorgaben darüber hinaus auch als Anforderungen an die NA hätten verstanden werden müssen, seien vom AG nicht dargetan. Da für die Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises abzustellen sei, spreche gegen die Auslegung der Vorgaben im LV und im Straßenbau/ Regelquerschnitt als Mindestanforderung für NA der Umstand, dass – nach dem Vergabevermerk des AG - weitere Bieter ebenfalls Nebenangebote abgegeben hätten, die die Verwendung von RC-Materialien vorgesehen hätten.

Ohne Erfolg berufe sich der AG darauf, der Ausschluss sei berechtigt erfolgt, da ihm ohne weitere Nachweise oder Erläuterungen zum angebotenen RC-Material die erforderliche Prüfung der Gleichwertigkeit nicht möglich gewesen sei.
Lasse der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, habe er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssten. Diese Bestimmung schütze die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen würden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lasse § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) zum Schutz der Bieter keinen Raum. Zwar möge eine solche Gleichwertigkeitsprüfung geeignet sein, den Wert von NA im Verhältnis zum Hauptangebot zu beurteilen. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung genüge eine Gleichwertigkeitsprüfung, für die es keine benannten Bezugspunkte gebe, weil - wie vorliegend - der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein solle, nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien, da für die Bieter bei Angebotsabgabe nicht mehr mit angemessenem Sicherheitsgrad vorhersehbar sei, welche Varianten der AG bei der Wertung noch als gleichwertig anerkennen werde und welche nicht mehr.

Anmerkung:

Mit der letzten VOB/A-Novelle 2019 wurde § 8 EU Abs.2 Nr. 3, Satz 6 VOB/A neu eingefügt, wonach Nebenangebote auch zulässig sind, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Damit verbunden ist nun für den Auftraggeber die Schwierigkeit, die Mindestanforderungen so festzulegen, dass sie sowohl für Haupt- wie Nebenangebote anwendbar sind. Allein der Hinweis, das Nebenangebot müsse den Leistungsumfang aus dem Hauptangebot komplett enthalten, ist genauso wenig zulässig wie ein sich Ausschweigen zu den Mindestanforderungen an Nebenangebote (VK Südbayern, B. v. 17.03.2020 – Z3-3-3194-1-47-11/19).

Im Falle, dass der Auftraggeber Probleme hat, die Mindestanforderungen an Nebenangebote festzulegen, empfiehlt es sich, neben dem Preis ein weiteres Zuschlagskriterium (z.B. technischer Wert) festzulegen, um diese Schwierigkeit zu umgehen.

  Quelle: RA Michael Werner


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