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Zum Ausschluss eines abgelaufenen Angebots

26.05.2020

von RA Michael Werner

Das OLG Celle hat mit Beschluss vom 30.01.2020 – 13 Verg 14/19 – folgendes entschieden:

• Auch wenn der Bieter der Bitte zur Verlängerung der Bindefrist nicht nachkommt, darf der Auftraggeber das Angebot nicht automatisch ausschließen.

• Der Auftraggeber ist auch nach Bindefristablauf zur Zuschlagserteilung berechtigt und aus haushaltsrechtlichen Gründen oftmals sogar verpflichtet.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Lieferung von Materialien und Logistik für den Breitbandausbau in seinem Landkreis in vier Losen europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Im Verfahren bat der AG die Bieter auf der von ihm benutzten Vergabeplattform um Verlängerung der Bindefrist sowie um Bestätigung der Verlängerung über die Plattform mittels eines vorgegebenen Vordrucks. Bieter A unterließ jedoch diese ausdrückliche Bestätigung. Im weiteren Verfahrensverlauf teilte der AG dem A den Ausschluss seiner Angebote mit – bei allen Losen wegen der nicht übersandten Bestätigung der Bindefristverlängerung, bei einem Los zusätzlich wegen Nichteinhaltung der technischen Mindestbedingungen. Nachdem der AG der Rüge des A, der nun auch die geforderte Bestätigung beigefügt war, nicht abhalf, wandte sich A mit Nachprüfungsantrag – allerdings vergeblich – an die VK und verfolgte seinen Antrag mit sofortiger Beschwerde zum OLG weiter.

Das OLG gibt Bieter A Recht. Einmal müsse die Antragsbefugnis des A bejaht werden. Zwar sei es hier zu keiner konkludenten Bindefristverlängerung gekommen, da der AG durch die ausdrückliche Aufforderung zur Abgabe einer schriftlichen Verlängerungserklärung gerade klargestellt habe, dass er die mitgeteilte Bindefrist nicht als Mindestfrist verstanden habe, sondern auf einer entsprechenden Erklärung der Bieter zur Verlängerung bestanden habe, um vom Fortbestand des Angebotes ausgehen zu können.

Allerdings könne aus einer unterbliebenen Bindefristverlängerung nicht automatisch auf ein fehlendes Interesse am Auftrag geschlossen werden, vielmehr werde durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens – wie hier – genau das Gegenteil indiziert.

Der Antrag des A sei auch begründet, da der AG die Angebote des A zu Unrecht ausgeschlossen habe. Denn für einen Angebotsausschluss wegen nicht verlängerter Bindefrist fehle es an einer Ermächtigungsgrundlage. Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV seien Angebote zwingend auszuschließen, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Verdingungsunterlagen vorgenommen worden seien. Die unterlassene Erklärung der Bindefristverlängerung stelle aber keine Änderung oder Ergänzung der Vergabeunterlagen im Sinne dieser Vorschrift dar. Gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV seien Angebote, die nicht die geforderten oder nachgeforderten Unterlagen enthielten, ohne Ermessensspielraum von der Wertung auszuschließen. Auch die Voraussetzungen dieses Ausschlussgrundes seien hier nicht erfüllt. Jedenfalls sei die Fristverlängerung weder in den Vergabeunterlagen gefordert worden noch handelte es sich um einen Fall einer Nachforderung von unternehmens- oder leistungsbezogenen Unterlagen gem. § 56 Abs. 2 VgV. Zwar sei der Begriff der Unterlagen hier nach dem Zweck der Norm des § 56 Abs. 2 VgV weit auszulegen. Nach dieser Vorschrift könne der öffentliche AG den Bieter allerdings nur dazu auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen. Die Abgabe einer neuen Erklärung zur Verlängerung der Bindefrist, die nicht Gegenstand der ursprünglichen Vergabebedingungen gewesen sei, falle aber nicht unter diese Vorschrift und damit auch nicht unter § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV. Ebenso wenig sei § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV einschlägig, weil hiernach nur Angebote ausgeschlossen werden könnten, die dem öffentlichen Auftraggeber nicht form- oder fristgerecht zugingen. Die Angebote des A seien aber unstreitig sowohl form- als auch fristgerecht eingereicht worden.

Der AG habe die Angebote des A auch nicht wegen der unterlassenen Verlängerung der Bindefrist ausschließen dürfen. Zwar könnten die ursprünglichen Angebote des A mit dem Zuschlag des AG nicht mehr unmittelbar angenommen werden, weil sie mit Ablauf der Bindefrist gemäß §§ 146, 148 BGB nicht mehr existent seien. Diese zivilrechtliche Wertung führe allerdings nicht dazu, dass die Angebote auch vergaberechtlich hinfällig und deshalb von der Wertung ausgeschlossen seien. Vielmehr entspreche es gefestigter Rechtsprechung, dass der Auftraggeber nicht daran gehindert sei und unter der Geltung des öffentlichen Haushaltsrechts im Einzelfall sogar dazu gehalten sein könne, den Zuschlag auf ein verfristetes Angebot zu erteilen. Mit den haushaltsrechtlichen Bindungen, denen der AG unterliege, sei in der Regel unvereinbar, das wirtschaftlichste Angebot von der Wertung nur deshalb auszunehmen, weil darauf der Zuschlag nicht mehr durch einfache Annahmeerklärung erteilt werden könne, sondern ein eigener Antrag des Auftraggebers und die Annahme durch den Bieter nötig seien. Dies habe jedenfalls dann zu gelten, wenn – wie hier – die Vergabeunterlagen einen Ausschluss verfristeter Angebote nicht vorschreiben würden und das fragliche Angebot seinem Inhalt nach unverändert sei. Anders könne dies allenfalls dann zu beurteilen sein, wenn Rechte von Mitbewerbern, insbesondere Gleichbehandlungsrechte, beeinträchtigt sein könnten. Bei verspätet erteilten Zuschlägen komme es daher entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an, ob ein Vergaberechtsverstoß vorliege. Dies sei hier zu verneinen. Durch eine Verlängerung der Bindefrist nach deren Ablauf werde der Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz gewahrt, sofern allen noch in Frage kommenden Bietern die Möglichkeit eröffnet werde, weiterhin am Vergabeverfahren teilzunehmen. Nichts anderes könne für den hier vorliegenden Fall gelten, dass eine Verlängerung der Bindefrist zwar nicht erfolgt sei, aber der Vertragsschluss jedenfalls nach wie vor zu den Konditionen des ursprünglichen Angebots erfolgen könne.

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Anmerkung:
Auf den ersten Blick eine etwas überraschende Entscheidung, die allerdings die ständige, auch vom BGH ausdrücklich bestätigte Rechtsprechung wiedergibt. Diese besagt im Wesentlichen, dass ein Angebot selbst dann, wenn es gemäß §§ 146,148 BGB wegen Ablaufs der Bindefrist zivilrechtlich erloschen ist, nicht zugleich auch vergaberechtlich hinfällig ist und daher gleichwohl den Zuschlag erhalten kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vergabeunterlagen einen Ausschluss verfristeter Angebote nicht zwingend vorschreiben und das fragliche Angebot inhaltlich unverändert geblieben ist (siehe BGH, Urteil v. 28.10.2003 – X ZR 248/02; OLG Düsseldorf, B. v. 09.12.2008 – Verg 70/08; B. v. 20.02.2007 – Verg 3/07). Um dies seitens des AG auszuschließen, hätte er hier entweder in seinen Vergabeunterlagen oder spätestens in seiner Aufforderung an die Bieter zur Bindefristverlängerung eindeutig bestimmen müssen, dass verfristete Angebote von der Wertung ausgeschlossen werden. Vice versa kann Bietern nur empfohlen werden, die Aufforderung des AG zur Bindefristverlängerung zu beachten und nicht – wie im vorliegenden Fall – zu ignorieren.

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