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Zum Rechtsschutz gegen rechtswidrige Vergabesperren

29.09.2020

von RA Michael Werner

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 03.06.2020 – XIII ZR 22/19 – u. a. folgendes entschieden:

• Schließt ein öffentlicher Auftraggeber ein Unternehmen ohne hinreichenden sachlichen Grund generell von der Vergabe von Aufträgen oder der Teilnahme an Vergabeverfahren aus, steht dem ausgeschlossenen Unternehmen gegen die Umsetzung einer solchen rechtswidrigen Vergabesperre ein Unterlassungsanspruch zu.

• Ein Interessenkonflikt bei einem Organmitglied des öffentlichen Auftraggebers kann eine Vergabesperre nur insoweit rechtfertigen, als der Gefahr eines Einflusses auf ein Vergabeverfahren nicht durch eine sachgerechte Organisation der Vorbereitung und Durchführung betroffener Vergabeverfahren sowie der hierauf bezogenen Entscheidungsprozesse begegnet werden kann.

Der Kläger (K) war ein eingetragener Verein mit etwa 180 Mitarbeitern, der ökologische Studien durchführte und wissenschaftliche Gutachten erstellte. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz des beklagten Landes (AG) vergab regelmäßig Aufträge für Forschungsvorhaben und Gutachten. Die der Senatsverwaltung vorstehende Senatorin war seit 2016 mit einem Mitarbeiter des K verheiratet, der dort in einem Fachbereich tätig war. Am 20. Januar 2017 teilte der Staatssekretär der Senatsverwaltung den dortigen Abteilungsleitern mit, zur Vermeidung eines Interessenkonflikts sei eine Beauftragung des K nicht mehr möglich. Er wies sie an, generell Angebote des K als ungeeignet auszuschließen. Mit seiner Klage forderte K, diese verhängte Vergabesperre aufzuheben und alle Abteilungsleiter der Senatsverwaltung anzuweisen, ihn bei künftigen Auftragsvergaben nach denselben Grundsätzen wie jeden anderen Bieter zu berücksichtigen.

Der BGH gibt dem Kläger K Recht, da dessen genereller Ausschluss von Vergabeverfahren ohne Einzelfallprüfung rechtswidrig sei. Dem K stehe ein Unterlassungsanspruch zu, da ein rechtswidriger Eingriff im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des K vorliege und weitere Beeinträchtigungen zu befürchten seien. Ein Vorgehen gegen einen generellen Ausschluss von Vergabeverfahren außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens sei weder für Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB, also ab Erreichen oder Überschreiten der Schwellenwerte, noch unterhalb dieser Schwellenwerte spezialgesetzlich normiert.

Der Gesetzgeber habe weder allgemein geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine Vergabesperre verhängt werden noch, unter welchen Voraussetzungen gegen eine solche Vergabesperre vorgegangen werden könne. Aus dem Fehlen solcher Regelungen könne aber nicht geschlossen werden, dass das Vergaberecht Rechtsschutz gegen eine Vergabesperre außerhalb eines Vergabeverfahrens ausschließen wolle. Werde ein Unternehmen aufgrund einer Vergabesperre von einem konkreten Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. GWB ausgeschlossen, habe es die Möglichkeit, den Ausschluss in einem Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB überprüfen zu lassen. Die im Nachprüfungsverfahren getroffene Entscheidung wirke aber nur für das der Nachprüfung unterzogene konkrete Vergabeverfahren und nicht für alle folgenden Vergabeverfahren, die derselbe öffentliche AG führe.

Da die Bewerbung um einen öffentlichen Auftrag mit erheblichen Kosten verbunden sein könne und die generelle Nichtberücksichtigung in Vergabeverfahren nicht nur wirtschaftlich nachteilig, sondern auch geeignet sein könne, als Makel des Unternehmens im Wettbewerb wahrgenommen zu werden, erfordere es der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes, dass das Unternehmen auch außerhalb eines Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff. GWB gegen eine Vergabesperre vorgehen könne. In Fällen, in denen ein Vergabeverfahren ohne öffentliche Ausschreibung oder Teilnahmewettbewerb durchgeführt werde, werde das von einer Vergabesperre betroffene Unternehmen von der beabsichtigten Auftragsvergabe in der Regel nichts erfahren. In diesen Fällen habe es tatsächlich keine Möglichkeit, gegen seine Nichtberücksichtigung im konkreten Vergabeverfahren aufgrund der Vergabesperre vorzugehen. Selbst wenn es – wie hier – von seinem Ausschluss ausnahmsweise erfahre, habe es nicht notwendigerweise einen Anspruch darauf, zur Abgabe eines Angebots aufgefordert zu werden. Würde in einem solchen Fall die Möglichkeit verneint, die Rechtmäßigkeit einer Vergabesperre unabhängig von einem konkreten Vergabeverfahren gerichtlich klären zu lassen, bliebe dem Unternehmen gegen eine rechtswidrige Vergabesperre jeglicher Rechtsschutz versagt.

Die Weisung vom 20. Januar 2017 stelle zwar nur einen innerbehördlichen Vorgang dar, ihre Umsetzung verhindere aber jede Geschäftstätigkeit des K mit der Senatsverwaltung und greife dadurch in dessen Geschäftstätigkeit unmittelbar ein. Da die Anwendung der Vergabesperre bereits zum Ausschluss des K von Vergabeverfahren geführt habe, drohe nicht nur ein erstmaliger Eingriff in sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, sondern es bestehe Wiederholungsgefahr. Dieser Eingriff in dieses Recht des Klägers sei rechtswidrig. Die vom AG angeführten Gründe rechtfertigten einen generellen Ausschluss des K von der Vergabe öffentlicher Aufträge für die Dauer der Amtszeit der Senatorin weder im Bereich der Vergabe nach §§ 97 ff. GWB noch im Unterschwellenbereich. Für Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. GWB seien die Gründe, die dem öffentlichen AG erlaubten, ein Unternehmen von Vergabeverfahren auszuschließen, in § 124 GWB i.V.m. § 42 Abs. 1 VgV abschließend geregelt. Diese aber rechtfertigten keinen generellen Ausschluss des K von Vergabeverfahren der Senatsverwaltung. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB könne der öffentliche AG ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens bestehe, der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden könne. Zwar erfasse § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB unmittelbar nur den Fall, dass ein konkretes Vergabeverfahren bereits vorliege; die Anforderungen der Norm müssten aber auch gelten, wenn eine Vergabesperre im Vorfeld eines Vergabeverfahrens gegen einen potenziellen Bewerber verhängt werde. In § 6 VgV sei näher geregelt, wann ein Interessenkonflikt vorliege.

Nach § 6 Abs. 2 VgV sei dies der Fall, wenn Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt seien oder Einfluss auf den Ausgang eines Vergabeverfahrens nehmen könnten, ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse hätten, das ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte. Nach § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a VgV werde bei Personen, deren Ehegatte bei einem Bewerber oder Bieter gegen Entgelt beschäftigt sei, vermutet, dass ein solcher Interessenkonflikt bestehe. § 6 Abs. 1 VgV ordne allerdings nur ein Mitwirkungsverbot des Organmitglieds oder Mitarbeiters des öffentlichen Auftraggebers, bei dem der Interessenkonflikt bestehe, an. § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB i.V.m. § 42 Abs. 1 VgV sähen als „ultima ratio“ auch den Ausschluss des Bewerbers vor. Die tatsächlich ergriffene Maßnahme müsse jedoch verhältnismäßig sein und dürfe nicht über das hinausgehen, was zur Verhinderung des potenziellen oder bestehenden Interessenkonflikts unbedingt erforderlich sei. Bevor der Bieter von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werde, habe der öffentliche AG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit daher zunächst die Pflicht, Organe oder Mitarbeiter, bei denen der Interessenkonflikt bestehe, von der weiteren Befassung mit solchen Vergabeverfahren auszuschließen. Durch diese Maßnahme werde in aller Regel der Interessenkonflikt wirksam beseitigt und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen, da sie den Bewerber nicht belaste.

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Anmerkung:
Das Urteil stellt klar, dass ein Unternehmen, das mit einer generellen Vergabesperre belegt worden ist, effektiven Rechtsschutz genießt. Soweit in Zukunft das sog. Wettbewerbsregistergesetz Anwendung findet, ist der Rechtsweg gegen Entscheidungen der Registerbehörde dort gesetzlich vorgesehen. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieses Gesetzes kann sich – nach BGH – ein Bieter oberhalb der Schwellenwerte im Wege eines Nachprüfungsverfahrens zur Vergabekammer gemäß §§ 155 ff. GWB wehren, ohne einen Ausschluss in einem konkreten Vergabeverfahren abwarten zu müssen. Unterhalb der Schwellenwerte müsste der Bieter dann per Klage zu den Zivilgerichten gegen eine rechtswidrige Vergabesperre vorgehen. Beides – wie der BGH hier aufzeigt – mit relativ guten Erfolgschancen.

  Quelle:


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