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Zum Umgang der Beteiligten mit nachgeforderten Unterlagen

21.07.2020

von RA Michael Werner

Das OLG Koblenz hat mit Urteil vom 07.05.2020 – 1 U 772/19 – folgendes entschieden:

• Nachgeforderte und bereits eingereichte Unterlagen kann der Bieter innerhalb der gesetzten Frist zurückfordern bzw. neue Unterlagen einreichen.

• Die Vergabestelle muss eingereichte Unterlagen so (Datum, Reihenfolge der Einreichung) kennzeichnen, dass jederzeit festgestellt werden kann, welche Unterlagen zu berücksichtigen sind. Fehler bei der Dokumentation eines hiermit beauftragten Dritten sind der Vergabestelle nach § 278 BGB zuzurechnen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen öffentlich ausgeschrieben. Bieter A hatte ein Angebot abgegeben, das nach Submission das wirtschaftlichste war. Das mit der Verfahrensdurchführung vom AG betraute Architekturbüro Z forderte darauf Bieter A unter Fristsetzung auf, für die durchzuführende Eignungsprüfung bestimmte Unterlagen sowie die Urkalkulation in einem verschlossenen Umschlag einzureichen.

A reichte sämtliche geforderten Unterlagen fristgerecht am 04.07.2019 ein. Einen Tag nach Übersendung telefonierte er mit Z und erklärte, er habe in der überreichten Urkalkulation einen Fehler gemacht, indem er in die angebotenen Einheitspreise einen Nachunternehmeranteil einkalkuliert habe, obwohl er keine NU-leistungen erbringen sollte. Er bat daher um Austausch der Unterlagen. Noch vor Ablauf der gesetzten Frist gingen dem Architekturbüro Z am 05.07.2019 die neuen, korrigierten Dokumente zu; auch diese, insbesondere der mit der Aufschrift „Urkalkulation NICHT ÖFFNEN“ versehene, verschlossene Umschlag, wurden zu den Vergabeunterlagen genommen. Die verschlossenen Umschläge, die die Urkalkulation in zwei verschiedenen Versionen enthielten, wurden zwar weder beschriftet noch geöffnet, jedoch mit Post-Its „1. Urkalkulation“ und „2. Urkalkulation“ bezüglich des zeitlichen Eingangs durch Z versehen. Der AG schloss darauf das Angebot des A wegen Unzuverlässigkeit bzw. des Verdachts eines Manipulationsversuches von der Angebotswertung aus und erteilte dem Bieter B mit dem zweitniedrigsten Preis den Auftrag. Bieter A, der der Ansicht war, dass er bei ordnungsgemäßem Verlauf des Verfahrens den Zuschlag hätte erhalten müssen, machte seinen entgangenen Gewinn als Schadensersatz klageweise geltend.

Das OLG gibt Bieter A Recht; ihm steht ein Schadensersatzanspruch gem. § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 2, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, da er zu Unrecht vom Verfahren ausgeschlossen worden sei und als Bestbieter den Zuschlag hätte erhalten müssen. Die Vorgehensweise des Bieters A sei im Ausschreibeverfahren insgesamt zulässig und nicht zu beanstanden gewesen. Die von ihm eingereichten Unterlagen, insbesondere die nachgeforderten Unterlagen hätten vom AG beachtet werden müssen.

Sofern das Angebot nicht aus den Gründen des § 16 VOB/A ausgeschlossen werde, verlange der öffentliche Auftraggeber die fehlenden Erklärungen und Nachweise nach § 16a VOB/A nach. Hierzu sei der Auftraggeber verpflichtet, ein Ermessen bestehe nicht; die nachgereichten Unterlagen seien zwingend zu beachten. Indem A die geforderten Unterlagen am 04. Juli 2017 vorgelegt und nach Erkennen eines Irrtums die Urkalkulation mit der Bitte um Austausch am 05. Juli 2017 erneut vorgelegt und Z diese Unterlagen zu den Vergabeakten genommen habe, seien keine Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken des A und Z zum Nachteil von anderen Bietern im Vergabeverfahren ersichtlich. Die verbindliche Unterlage und die maßgebliche Urkalkulation seien von A innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt worden. Die Urkalkulation sei im Submissionstermin nicht geöffnet worden, was auch vergaberechtlich nicht vorgesehen sei. Die Urkalkulation werde lediglich verwendet, wenn im Rahmen der Durchführung des Bauvorhabens eine Änderung der zu berechnenden Preise erfolgen solle und für die Prüfung der Berechtigung einer Abänderung der Preise die Urkalkulation als Grundlage benötigt werde.

Bis zu diesem Zeitpunkt sei sie grundsätzlich verschlossen zu halten. A habe vor Ablauf der Frist zur Abgabe der nachgeforderten Unterlagen erkannt, dass er bei der Fertigung seiner Urkalkulation einen Fehler begangen habe. Da er sich jedoch an die vergaberechtlichen Vorgaben habe halten wollen, habe er (unbestritten) bei der Abfassung der neuen Urkalkulation die Beauftragung von Nachunternehmern herausgenommen und eine Urkalkulation nach Maßgabe der Vorgaben gefertigt. Diese den Vorgaben entsprechende Urkalkulation sei beim AG fristgerecht eingegangen. Die erste eingereichte Urkalkulation sei nicht geöffnet worden, insbesondere nicht im Submissionstermin, da sie zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht vorliegen musste und nicht vorgelegen habe. Der Inhalt der Urkalkulation sei somit dem AG noch nicht zur Kenntnis gelangt und habe damit die Vergabeentscheidung nicht beeinflussen können. Wäre dem A am 05. Juli 2017 der Umschlag vom 04. Juli 2017 zurückgegeben worden, hätte Z als Vertreterin des AG nur über ein maßgebliches Exemplar verfügt, das den Vorgaben ordnungsgemäß entsprochen hätte. Raum für Missverständnisse oder Manipulationen seien somit nicht gegeben.

Dass Z hier den am 04. Juli 2017 überreichten Umschlag auch zu den Vergabeunterlagen genommen habe, ändere an dieser Sachlage nichts. Auch jetzt sei für den AG, vertreten durch Z, erkennbar gewesen, welcher der maßgebliche Umschlag mit welcher maßgeblichen Urkalkulation Geltung haben sollte, nämlich der vom 05.Juli.2017 eingereichte Umschlag, der von Z den Post-It-Zettel mit der Aufschrift „2. Urkalkulation“ erhalten habe. Aus diesem Grunde sei der AG nicht berechtigt, wegen dieser Vorgehensweise den A von dem Vergabeverfahren auszuschließen. Auch die Aufbringung des Sperrvermerks „Urkalkulation NICHT ÖFFNEN!“ sei vergaberechtlich unbedenklich. Erkennbar habe A damit nur zum Ausdruck bringen wollen, dass dieser Umschlag, der die angeforderte Urkalkulation enthielt, nicht sofort nach Übergabe geöffnet werden sollte, sondern erst, wenn die Urkalkulation relevant werden würde (bei Fragen der Abrechnung, Preisänderungen usw.). Vergaberechtlich sei dies korrekt.

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Anmerkung:
Das Urteil zeigt eindrucksvoll, dass sich die Verfahrensbeteiligten auch bei der Vergabe von Bauleistungen unterhalb des geltenden Schwellenwerts (aktuell 5.350 Mio. Euro) keineswegs im „rechtsfreien Raum“ bewegen.

Daher kann man auch in diesem Bereich folgendes feststellen: Der AG kann zwar gemäß § 16a Abs. 3 VOB/A in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen verbindlich festlegen, dass er keine Unterlagen oder Preisangaben nachfordern wird. Sieht er aber von dieser Festlegung ab, MUSS er fehlende Erklärungen oder Nachweise gemäß § 16a Abs. 1 VOB/A unter Fristsetzung nachfordern – und in der Konsequenz auch alles, was vom Bieter fristgerecht eingereicht wird, entsprechend beachten. Ansonsten kann es ihm ähnlich ergehen wie dem AG im vorliegenden Fall: Er hat einerseits den Auftrag rechtswirksam an B vergeben und muss andererseits dem zu Unrecht ausgeschlossenen Bieter A dessen vollen entgangenen Gewinn als Schadensersatz leisten (sog. positives Interesse).

  Quelle:


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