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Zur Aufklärung des Angebotspreises wegen auffälliger Einheitspreise

27.10.2020

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer(VK) des Bundes hat mit Beschluss vom 25.05.2020 – VK 1-24/20 – u. a. folgendes entschieden:

• Will ein öffentlicher Auftraggeber den Zuschlag auf ein Angebot erteilen, muss er dieses vertieft prüfen und werten. Will er umgekehrt ein Angebot aufgrund seines Preises ausschließen, ist er verpflichtet, den Angebotspreis des betreffenden Bieters unter dessen Mitwirkung näher aufzuklären.

• Fehlende Erklärungen, die nicht bereits mit dem Angebot vorzulegen waren, sondern deren spätere Vorlage sich der öffentliche Auftraggeber vorbehalten hat, dürfen nicht noch einmal nachgefordert werden. Erlaubt, wenn nicht sogar geboten, ist es jedoch, ein Angebot vor seinem Ausschluss weiter aufzuklären.

• Ein Bieter ist in seiner Kalkulation grundsätzlich frei ist. Diese Freiheit gilt jedoch nicht grenzenlos, vor allem ist ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet, jedes Angebot zu bezuschlagen, selbst wenn es den niedrigsten Preis hat und der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Nach Submission lag das Angebot des Bieters A auf Platz 1, das des Bieters B auf Platz 2. Der AG forderte darauf den A zur Vorlage des Formblatts VHB 223 „Aufgliederung der Einheitspreise (EP) “ auf. Dieser legte anstatt des VHB 223 ein eigenes Formblatt vor, das er jedoch nicht vollständig ausgefüllt hatte; insbesondere die Angaben zu den Lohnkosten fehlten darin.

Der AG forderte den A im Rahmen der Aufklärung dazu auf, darzulegen, weshalb er in einigen Positionen keine Lohnkosten eingetragen hatte. A erklärte dies darauf nur unzureichend. Der AG schloss darauf das Angebot des A aus und kündigte an, den Zuschlag auf das Angebot des B zu erteilen. Dagegen leitete A ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die VK gibt dem AG Recht; einmal sei das Angebot bereits gemäß § 16 EU Nr. 4 VOB/A auszuschließen, weil A das Formblatt 223 VHB, dessen Vorlage sich die AG vorbehalten habe, innerhalb der gesetzten Frist nicht vollständig ausgefüllt vorgelegt habe. Dass der AG die Preise des A eingehend prüfe und sich hierzu anhand des Formblatts 223 VHB die Kalkulation der Einzelpreise näher erläutern lasse, sei weder willkürlich noch sonst von der Vorgehensweise her zu beanstanden. Zwar wichen die Gesamtpreise der Angebote des nach Submission erstplatzierten A und des B tatsächlich deutlich weniger als 10 Prozent voneinander ab, so dass die von der Rechtsprechung entwickelten Aufgreifschwellen, bei deren Erreichen ein AG im Interesse der Mitbewerber zur Preisaufklärung verpflichtet sei, nicht erreicht seien. Das bedeute aber nicht, dass ein öffentlicher AG unterhalb dieser Schwelle die Preise eines Bieters nicht weiter hinterfragen dürfe. Im Gegenteil sei der AG gemäß §§ 16 EU bis 16d EU VOB/A verpflichtet, zumindest dasjenige Angebot, auf das er den Zuschlag erteilen wolle, in mehreren Schritten zu werten. Einer dieser Schritte sei die Prüfung der Angemessenheit des Angebotspreises, die sich nicht aufgrund des Preisabstands zwischen dem niedrigsten zum nächstteureren Angebot entscheide, sondern nach dem Preis-Leistungsverhältnis des betreffenden Angebots. Denn nicht nur dann, wenn ein öffentlicher AG den Zuschlag auf ein Angebot erteilen wolle, müsse er dieses vertieft prüfen und werten, sondern umgekehrt auch dann, wenn er ein Angebot aufgrund seines Preises ausschließen wolle, sei er nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, den Angebotspreis des betreffenden Bieters unter dessen Mitwirkung näher aufzuklären (s. § 16d EU Abs. 1 Nr. 2, § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A). Berechtigten Anlass für eine engere Prüfung des Angebots des A hätte der AG daher nicht nur, weil dieses ernsthaft für den Zuschlag in Frage komme, sondern auch, weil es auffällig niedrige Einheitspreise aufweise.

Da somit der AG im Rahmen der Aufklärung des Angebotspreises des A in dessen „Preisermittlungen (Kalkulationen)“ Einsicht nehmen durfte und A innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Frist die Aufklärungsverlangen nicht vollständig beantwortet habe, sei sein Angebot auch gemäß § 15 EU Abs. 2 VOB/A auszuschließen. Da die Antworten des A im Ergebnis nicht für die Aufklärung verwendbar gewesen seien, warum A in mindestens 10 Positionen kalkulatorisch keine Lohnkosten angesetzt habe, seien dessen Antworten rechtlich so zu behandeln, als wenn er die geforderten Aufklärungen und Angaben insgesamt verweigert oder die ihm zur Aufklärung gesetzte Frist unbeantwortet habe verstreichen lassen.

Des Weiteren sei der Angebotsausschluss auch von § 16d Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A gedeckt. Zwar treffe es zu, dass ein Bieter grundsätzlich in seiner Kalkulation frei sei. Diese Freiheit gelte jedoch nicht grenzenlos, vor allem sei ein AG nicht verpflichtet, jedes Angebot zu bezuschlagen, selbst wenn es den niedrigsten Preis aufweise und der Preis das einzige Zuschlagskriterium sei. Ein öffentlicher AG müsse nämlich u.a. die Angemessenheit der Preise prüfen und ein Angebot wegen seines Preises ggf. aus der Wertung ausschließen. Gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A gelte dies nicht nur bei niedrigen Preisen, sondern auch bei niedrigen Kosten (vgl. auch § 60 Abs. 3 VgV). Hintergrund sei, dass unangemessen niedrige Angebote ebenso wie Unterkostenangebote das erhebliche Risiko in sich tragen könnten, dass der AN infolge der zu geringen Vergütung möglicherweise in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerate und den Auftrag deshalb nicht vollständig zu Ende führe, oder der AN könne in Anbetracht seines nicht kostendeckenden Preises versuchen, sich des Auftrags so unaufwändig wie möglich und insoweit auch nicht vertragsgerecht zu entledigen, oder er könnte versuchen, die Ressourcen seines Unternehmens auf besser bezahlte Aufträge zu verlagern, sobald sich die Möglichkeit dazu biete.

Unterkostenangebote seien daher zwar nicht grundsätzlich vergaberechtswidrig, indizierten jedoch das Vorliegen dieser Risiken. Vor diesem Hintergrund sei § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A so zu verstehen, dass dem öffentlichen AG ein Ermessen dergestalt eingeräumt sei, den Zuschlag grundsätzlich abzulehnen, wenn verbleibende Ungewissheiten an der Angemessenheit der Kosten nicht zufriedenstellend erklärt werden könnten. Es verhalte sich also nicht so, dass ein öffentlicher AG bei Zweifeln an der Angemessenheit der Kosten auf die ordnungsgemäße Kalkulation eines Bieters und dessen generelle Vertragstreue vertrauen müsse, vielmehr solle er ein Angebot, das allein schon wegen der Kostenunterdeckung mehrerer Leitungspositionen gewisse Risiken in sich trage, ausschließen.

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Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt eindrücklich, wann ein AG eine Aufklärung wegen eines unangemessen niedrigen Preises durchzuführen hat. Nicht nur wenn der Gesamtpreis eines Angebotes betroffen und eine Aufgreifschwelle (Differenz zum nächstplatzierten Angebot) überschritten ist, sondern auch um Einzelpreise des Bieters zu hinterfragen. Ziel ist es immer, eine Grundlage für eine seriöse Prognose zu erhalten, ob der für den Zuschlag vorgesehene Auftragnehmer den Vertrag vertrags- und ordnungsgemäß wird ausführen können. Bestehen nach der Preisaufklärung begründete Zweifel, wird der Ausschluss des Angebotes regelmäßig die Folge sein.

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