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Zur Aufklärung eines unangemessen niedrig erscheinenden Preises

08.03.2022

 

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 15.11.2021 – VK 1-112/21 – u.a. folgendes entschieden:

1. Eine Aufklärung ist nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz pflichtgemäßer Anstrengung des öffentlichen Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei entweder angemessen oder der Bieter sei im Falle eines Unterkostenangebots wettbewerbskonform in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Die Aufklärung betrifft neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots.
3. Eine ordnungsgemäße Aufklärung nach erfolgter Vorlage der Unterlagen über die Preisermittlung erfordert zudem eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer Überprüfung.

Ein öffentlicher Auftraggeber(AG) hatte Umbaumaßnahmen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Im LV war in mehreren Positionen u.a. die Verwertung von nicht gefährlichem Abfall gefordert. Nach der Wertung lag das Angebot des Bieters A an zweiter Stelle hinter dem Angebot des Bieters B. Der Preisabstand betrug 35%. Der AG sah bei 40 Einzelpositionen im Angebot des B Aufklärungsbedarf und führte eine Aufklärung durch. B erläuterte, wie er die einzelnen Positionen kalkuliert hatte und fügte einen Auszug aus seiner Urkalkulation bei. Der AG sah nun das Angebot des B für den Zuschlag vor. Darauf rügte Bieter A den unangemessen niedrigen Preis des B sowie die nicht ordnungsgemäße Prüfung des AG. Nach Nichtabhilfe der Rüge beantragte er Nachprüfung.
Die VK gibt hier Bieter A Recht, da der AG die Auskömmlichkeit des Angebotes des B nicht zufriedenstellend aufgeklärt habe. Der AG habe hier zu Recht den auffällig niedrigen Angebotspreis des B gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A aufgegriffen und einer Aufklärung unterzogen. Auf ein Angebot mit unangemessen niedrigem Preis dürfe gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A der Zuschlag nicht erteilt werden. Dem Auftraggeber werde bei dieser Entscheidung ein rechtlich gebundenes Ermessen, auf das sich grundsätzlich auch die anderen Teilnehmer am Vergabeverfahren berufen könnten, eingeräumt. Der Angebotspreis des B erscheine im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig und habe daher - auch aus Sicht des AG - Veranlassung zur Aufklärung gegeben. Die Pflicht des AG, in eine Preisprüfung einzutreten, könne sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten, aber auch aus Erfahrungswerten, insbesondere aus Erkenntnissen aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen oder aus einem Vergleich mit der eigenen Auftragswertschätzung des Auftraggebers ergeben. Der AG sei jedenfalls dann verpflichtet, in die Prüfung der Preisbildung einzutreten, wenn der Abstand zwischen dem Angebot des bestplatzierten und dem Angebot des zweitplatzierten Bieters mehr als 20 % betrage. Hier habe der Abstand zwischen dem Angebot des bestplatzierten B und des zweitplatzierten A etwa 35% betragen und damit erheblich über dieser Aufgreifschwelle. Der öffentliche Auftraggeber habe mittels der in § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A vorgeschriebenen Aufklärung dem betreffenden Bieter dann die Möglichkeit zu geben, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften oder hinreichende Gründe aufzuzeigen, dass sein Angebot annahmefähig sei.
Diesen Anforderungen an eine Preisaufklärung sei der AG zunächst nachgekommen. Er habe mit seinem Aufklärungsschreiben eine "nachprüfbare" Erklärung über die Ermittlung der Preise zu mehr als 40 Einzelpositionen eingeholt. Ferner habe er mit Formschreiben vom selben Tag die (standardisierte) Vorlage von Nachweisen gefordert: u.a. auch die Offenlegung des Entsorgungswegs für nicht gefährliche Abfälle.
Die daraufhin getroffene Entscheidung des AG, der Angebotspreis des B sei zufriedenstellend aufgeklärt und das Angebot daher zuschlagsfähig, genüge allerdings nicht den Anforderungen an eine vergaberechtskonforme Ausübung des ihm zustehenden rechtlich gebundenen Ermessens. Eine Aufklärung sei dann nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz pflichtgemäßer Anstrengung des öffentlichen Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung biete, das Angebot sei entweder angemessen oder der Bieter sei im Falle eines Unterkostenangebots wettbewerbskonform in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Die Aufklärung betreffe neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots. Eine ordnungsgemäße Aufklärung nach erfolgter Vorlage der Unterlagen über die Preisermittlung erfordere zudem eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer Überprüfung. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der zugrundeliegenden Norm (§ 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A: "prüft der öffentliche Auftraggeber die betreffende Zusammensetzung und berücksichtigt dabei die gelieferten Nachweise").
Danach habe der AG in der vorliegenden Prüfung allein die rechnerische Richtigkeit geprüft, wobei anscheinend schlicht der Vergütungsbetrag, der von B genannt wurde, der Rechnung zugrunde gelegt worden sei. Der AG unterziehe keiner - jedenfalls nicht dokumentierten oder im laufenden Nachprüfungsverfahren vorgetragenen - Plausibilitätskontrolle, ob der von B angegebene Leistungsansatz (Personal/Gerät) bei der erheblichen Menge von 30.000 m3 / 57.000 Tonnen Material in der Position xx.xx.xxxx realistisch sei. Auch die später eingereichte pauschale Erklärung des B, wer transportiere und entsorge und wo die Entsorgung erfolgen solle, habe der AG nicht weiter überprüft, sondern in seiner "Dokumentation Preisprüfung" lediglich die Äußerungen des B übernommen. Jedenfalls fänden sich keine darüber hinaus gehenden eigenen Erwägungen des AG hierzu in der Vergabeakte. B berufe sich hier allein auf besonders günstige Bedingungen bei der Verwertung des zu lösenden Bodenmaterials in der Position xx.xx.xxxx. Um die Plausibilität dieser Bieterangaben im Sinne der oben genannten "gesicherten Tatsachengrundlage" zu überprüfen, sei daher eine weitere Aufklärung vorzunehmen. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil der AG in der Baubeschreibung explizit fordere, dass die anfallenden Kosten der Abfallentsorgung in die entsprechende LV-Position einzurechnen seien.

Anmerkung:

Wie die Entscheidung zeigt, werden die Anforderungen an eine korrekte Preisprüfung für öffentliche Auftraggeber stetig strenger. Um eine den aufgeführten Anforderungen entsprechende Prognoseentscheidung über die Auskömmlichkeit eines Angebotspreises treffen zu können, muss sich der Auftraggeber mit den Angaben und Unterlagen, die der betreffende Bieter macht bzw. vorlegt, inhaltlich zumindest in einer Plausibilitätskontrolle auseinandersetzen und auf Basis dieser Erkenntnisse eine – sorgfältig zu dokumentierende – Entscheidung über den weiteren Verbleib des Angebots in der Wertung treffen. Lediglich die vom Bieter vorgebrachten Einlassungen zu übernehmen, genügt daher nicht.

  Quelle: RA Michael Werner


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