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Zur Pflicht des Auftraggebers, Gleichwertigkeitsparameter vorzugeben

24.01.2023

Die Vergabekammer (VK) Rheinland hat mit - erst jetzt veröffentlichtem - Beschluss vom 26.05.2021 – VK 3/21 – u.a. folgendes entschieden:

1. Gleichwertigkeit gem. § 7 EU Abs. 2 VOB/A 2019 bedeutet nicht Gleichheit i.S. einer Identität aller Beschaffungsmerkmale. Es kommt darauf an, hinsichtlich welcher Leistungsmerkmale der Auftraggeber die Gleichwertigkeit fordert und nach welchen Parametern diese zu bestimmen ist.

2. Der Zusatz "oder gleichwertig" macht es im Einzelfall nicht entbehrlich, in den Ausschreibungsunterlagen Parameter für die Gleichwertigkeit angebotener Erzeugnisse festzulegen.

3. Kann nicht geklärt werden, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Angebotsausschluss vorliegen, trägt im Ausgangspunkt derjenige die Feststellungslast, der sich auf den Ausschlussgrund beruft.

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RA Michael Werner

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte den Einbau einer Lüftungsanlage für eine Schule im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Die einzubauende Anlage war u.a. im Leistungsverzeichnis wie folgt beschrieben: 11000 m3/h; Typ: AHUW TE EC 210; Gesamtgewicht (Netto) 2459 kg; Leitfabrikat der Planung: Wolf oder gleichwertig. Zu den einzelnen Positionen fanden sich im LV ausführliche technische Beschreibungen über mehr als 20 Seiten. Die Bieter A und B gaben Angebote ab, wobei das Angebot des A das günstigste war. Der AG schloss das Angebot des Bieters A jedoch aus, weil das von ihm angebotene abweichende Fabrikat der Anlage nicht gleichwertig sei. Nach erfolgloser Rüge beantragte A gegen den Angebotsausschluss Nachprüfung.

Die VK gibt dem Bieter A Recht. Die vom AG vorgetragenen Gründe rechtfertigten den Ausschluss des Angebotes nicht. Gemäß §§ 16 EU Nr. 2 i. V. m. 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A werden Angebote von der Wertung ausgeschlossen, die nicht auf der Grundlage der Vergabeunterlagen erstellt werden, wobei Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig sind. A habe hier zwar nicht das im LV aufgeführte Leitfabrikat angeboten. Der AG habe aber das von A angebotene Alternativprodukt zu Unrecht als „nicht gleichwertig“ beurteilt.

Nach ständiger Rechtsprechung sei Maßstab der Gleichwertigkeitsprüfung i.S.v. § 7 EU Abs. 2 S. 2 VOB/A, dass "Gleichwertigkeit" nicht "Gleichheit" im Sinne einer Identität aller Beschaffungsmerkmale darstelle. Es komme vielmehr darauf an, hinsichtlich welcher Leistungsmerkmale der Auftraggeber die Gleichwertigkeit fordere und nach welchen Parametern diese zu bestimmen sei. Der Begriff der Gleichwertigkeit sei dabei funktional zu bestimmen. Es komme darauf an, ob die Produkte nach ihrer Funktionstüchtigkeit und Eigenart vergleichbar seien, d.h. ob das Alternativprodukt zu dem von der Vergabestelle vorgesehenen Gebrauch tauglich sei. Abzustellen sei hierbei auf die Ansicht der betreffenden technischen Fachkreise. Falls das Alternativprodukt Merkmale des als Leitfabrikat genannten Produkts nicht erfülle, die für den geplanten Einsatz nicht von Relevanz seien, so sei es dennoch gleichwertig.

Bei der Gleichwertigkeitsprüfung habe der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar sei. Diese prüften nur nach, ob die Beurteilung vertretbar sei. Für die Beurteilung der Gleichwertigkeit sei zunächst durch Auslegung der Vergabeunterlagen zu ermitteln, worauf es dem öffentlichen Auftraggeber tatsächlich ankomme, d.h. welches die maßgeblichen Leistungsmerkmale seien. Es müsse anhand der gesamten Leistungsbeschreibung ermittelt werden, welche Vorgaben für das Produkt entscheidend sein sollen. Allein die Nennung technischer Voraussetzungen in der konkreten Position könne nicht dazu führen, dass diese zwingend als Mindestvorgaben für sämtliche vergleichbare Produkte oder Erzeugnisse gelten würden, da man dann nur "identische" Produkte zur Wertung zulassen könnte und der Zusatz "oder gleichwertig" ins Leere liefe. Der Zusatz "oder gleichwertig" mache es im Einzelfall daher nicht entbehrlich, in den Ausschreibungsunterlagen Parameter für die Gleichwertigkeit angebotener Erzeugnisse festzuzulegen.

Vor diesem Hintergrund sei im vorliegenden Fall die Entscheidung des AG nicht vertretbar: Weder aus der Leistungsbeschreibung noch aus der Vergabeakte sei ersichtlich, dass es sich bei den vom AG – erst nachträglich – angeführten Parametern wie Gewicht, Verbrauchswerte und Lärmemissionen um relevante Beschaffungsmerkmale handele, welche für die Gleichwertigkeitsprüfung erheblich seien. Ebensowenig lasse sich der Vergabeakte entnehmen, dass sich der AG mit der Frage der Gleichwertigkeit dezidiert beschäftigt und seiner Entscheidung alle zur Verfügung stehenden Informationen und Erkenntnisquellen zugrunde gelegt habe.

Im Ergebnis stehe damit fest, dass der AG die Gleichwertigkeitsprüfung nicht vergaberechtskonform durchgeführt und damit die Grenzen seines Beurteilungsspielraums überschritten habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass A ein Produkt angeboten habe, welches nicht den Anforderungen des LV entspreche. Somit lasse sich auch nicht feststellen, dass sein Angebot nicht auf der Grundlage der Vergabeunterlagen erstellt worden sei und der Ausschlussgrund des § 16 EU Nr. 2 i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A vorliege.

Anmerkung:

Wie die Entscheidung zeigt, muss der Auftraggeber dann, wenn er für die in seiner Ausschreibung geforderten Produkte oder Systeme den Zusatz „oder gleichwertig“ vorsieht, bereits im Vorfeld der Wertung zwingend festlegen, welche Merkmale für die Gleichwertigkeitsprüfung relevant sind und bis zu welcher Grenze er ein angebotenes Produkt oder System noch als gleichwertig akzeptiert. Denn der Auftraggeber trägt grundsätzlich die Beweislast für eine fehlende Gleichwertigkeit. Daher reicht es keineswegs aus, im LV einfach den Zusatz „oder gleichwertig“ aufzunehmen und dann im Rahmen der Angebotsprüfung relativ lapidar ein Angebot wegen fehlender Gleichwertigkeit auszuschließen.

  Quelle: RA Michael Werner


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