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Zur Schätzung des Auftragswertes bei geänderten Parametern

19.04.2013

Das OLG München hat mit Beschluss vom 31. Januar 2013 – Verg 31/12 – u. a. folgendes entschieden:

Der Auftraggeber kann sich, wenn er eine Gesamtbaumaßnahme in mehrere Ausschreibungen unterteilt, jedenfalls dann nicht mehr auf die ursprüngliche
Schätzung des Auftragwerts berufen, wenn sich die Parameter für die Schätzung erheblich geändert haben.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Ortsumgehung in mehreren Bauabschnitten ausgeschrieben, die Kostenschätzung vor Einleitung der ersten Ausschreibung hatte einen Wert von 4,795 Mio. Euro ergeben, d. h. einen Wert, der knapp unter dem damaligen EU-Schwellenwert (von 4,845 Mio. Euro) lag. Der AG hatte daher die Bauleistung national ausgeschrieben. Nachdem die erste Ausschreibung abgeschlossen war, ergaben sich jedoch neue Hinweise aus einem Bodengrundgutachten, wonach Untergrundverbesserungen dringend vorzunehmen waren, die in der ursprünglichen Kostenschätzung nicht enthalten waren. Dennoch schrieb der AG die Leistungen für den ersten Bauabschnitt weiterhin nur national aus; den Zuschlag sollte Bieter A erhalten. Der unterlegene Bieter B rügte den Ausschluss seines Angebots und monierte, dass nach dem vorliegendem Submissionsergebnis klar sei, dass der europäische Schwellenwert erheblich überschritten werde. Nachdem er vor der Vergabekammer unterlegen war, erhob er sofortige Beschwerde zum OLG.

Das OLG gibt hier dem Bieter B Recht, da der AG den Auftragswert unzutreffend eingeschätzt habe. Bei der Schätzung des Auftragswerts sei gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VgV von der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung auszugehen. Ausschlaggebender Zeitpunkt für die Schätzung sei der Tag, an dem die Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe abgesendet bzw. das Vergabeverfahren auf andere Weise eingeleitet werde. Die Ermittlung des Auftragswerts sei eine Prognose-Entscheidung, bei der dem AG ein Beurteilungsspielraum zustehe, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüft werden könne. Habe der Auftraggeber eine Gesamtbaumaßnahme wie hier in mehrere Ausschreibungen unterteilt, könne er sich nicht mehr auf die ursprüngliche Schätzung berufen, wenn sich die Sachlage erheblich geändert habe. Die Prognose sei eine vorläufige Einschätzung, welche die Grundlage für die Bearbeitung und Durchführung der Ausschreibung bilde. Ändere sich im Laufe der Zeit die Schätzungsgrundlage, weil sich die Schätzungsparameter aufgrund neu gewordener Erkenntnisse geändert hätten, sei die Schätzung anzupassen. § 3 Abs. 9 VgV spreche von der „beabsichtigten Auftragsvergabe“. Dies lasse auch den Schluss zu, dass die Einschätzung bei jeder einzelnen Ausschreibung zu treffen sei. Könnte sich der Auftraggeber trotz wesentlicher Änderungen der Verhältnisse nach wie vor auf die ursprüngliche Schätzung berufen, hätte dies zur Folge, dass der AG eine europaweite Ausschreibung bewusst vermeiden könnte. Dies sei nicht hinnehmbar, vielmehr seien erhebliche Änderungen zu berücksichtigen, wie bei anderen Prognoseentscheidungen des AG auch, z. B. bei Beurteilung der Eignung. Bei der Absendung der Bekanntmachung sei hier klar gewesen, dass sich die Kosten für die Untergrundverbesserung so erhöhen würden, dass für das Gesamtprojekt der EU-Schwellenwert für Bauaufträge überschritten werden würde. Daher hätte hier die AG eine EU-weite Ausschreibung durchführen müssen.

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Anmerkung:
Das OLG München macht deutlich, dass eine nachträgliche Änderung der Schätzungsgrundlagen im Rahmen einer Gesamtbaumaßnahme bei späterer Ausschreibung berücksichtigt werden muss. Sollten neuere Erkenntnisse vorliegen, dass der ursprüngliche Auftragswert nicht mehr zutrifft, hat der AG diesen zu korrigieren. Wird dadurch letztlich der EU-Schwellenwert überschritten, führt dies für die späteren Ausschreibungen zur Anwendung des EU-Vergaberechts.

  Quelle: RA Michael Werner


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