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Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Rüge

20.11.2023

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 20.07.2023 – 11 Verg 3/23 - folgendes entschieden:

1. Die Anforderungen an die Darlegung einer Vergaberechtsverletzung bzw. an die Rüge dürfen nicht zu hoch angesetzt werden. Ein Mindestmaß an Substantiierung ist jedoch einzuhalten. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) reichen nicht aus.
2. Eine Rüge ist hinreichend substantiiert, wenn zumindest tatsächliche Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen.
3. Die Vorlage der eigenen Preiskalkulation reicht zur Substantiierung von Behauptungen nicht aus, soweit sich aus ihr keine Anhaltspunkte für eine unauskömmliche Kalkulation von Mitbewerbern ergeben.

 

Porträt Anwalt Werner

 

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Unterhalts- und Sonderreinigungsarbeiten für eine Hochschule europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Das Angebot des Bieters A schloss der AG aus preislichen Gründen von der Wertung aus und teilte dem A mit, dass er beabsichtige, den Zuschlag an den Bestbieter B zu erteilen. Darauf rügte A seinen Angebotsausschluss und die geplante Zuschlagserteilung an B – mit der Behauptung, B habe entgegen den Vorgaben im Leistungsverzeichnis (Pos. 2.28) den Aufschlag für die Kosten des Objektleiters entweder mit 0% angesetzt oder einen solchen Aufschlag gar nicht angegeben. Zur Begründung bezog sich A auf seine eigene Angebotskalkulation. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte A Nachprüfung. Die Vergabekammer wies die Rüge als unwirksame Rüge „ins Blaue hinein“ und den Antrag als unzulässig zurück. Dagegen legte A Beschwerde zum OLG ein.

Die Beschwerde des A hat keinen Erfolg. Nach Ansicht des OLG sei der Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig, da A nicht gemäß § 97 Abs. 6 GWB antragsbefugt sei. Denn er habe keine tatsächlichen Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen, die einen hinreichenden Verdacht auf den von ihm geltend gemachten Vergaberechtsverstoß begründen und mithin nicht hinreichend dargelegt, dass Bestimmungen des Vergabeverfahrens nicht eingehalten worden seien.
Zwar sei für Rügen ein großzügiger Maßstab anzulegen. Da ein Bieter naturgemäß nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens habe, dürfe er im Vergabenachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines oft nur beschränkten Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten dürfe, etwa wenn es um Vergaberechtsverstöße gehe, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle abspielten oder - wie hier - das Angebot eines Mitbewerbers beträfen (OLG Düsseldorf, B. v. 1.4.20 – Verg 30/19).

Um jedoch zu vermeiden, dass Rügen ohne Substanz auf bloßen Verdacht ins Blaue hinein mit dem Ziel, etwa Einsicht in die Akten zu erlangen, erhoben werden, müsse der Antragsteller zumindest tatsächliche Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründeten. Ein Mindestmaß an Substantiierung sei einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergabeverstößen reichten nicht aus (OLG Frankfurt, B. v. 9.7.2020 - 11 Verg 5/10).
Danach bestünden große Zweifel, ob hier eine ordnungsgemäße Rüge i.S.v. § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB vorliege. Letztendlich könne die Frage aber offenbleiben, ob das Rügeschreiben den Anforderungen des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB genüge. Denn A habe auch nachfolgend im Nachprüfungsantrag und in der Beschwerdebegründung keine tatsächlichen Anknüpfungstatsachen oder Indizien für den behaupteten Vergaberechtsverstoß seitens des AG dargetan.
Die geltend gemachten Vergabeverstöße beruhten sämtlich auf der Behauptung des A, der Bestbieter B habe in Ziff. 2.28 entgegen den Vorgaben des LV und insbesondere entgegen der Vorgabe Ziff. 1.3 des LV den Aufschlag für die Kosten des Objektleiters entweder mit 0% angesetzt oder einen solchen Aufschlag nicht angegeben.
Welche Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptung sprächen, habe A aber weder in der Rüge gegenüber dem Auftraggeber noch im Nachprüfungsantrag oder in der Beschwerdebegründung dargelegt. Insoweit führe die erstinstanzliche Vergabekammer in dem angegriffenen Beschluss zutreffend aus, Bieter A habe es vollständig versäumt, darzulegen, wie er zu der Schlussfolgerung bezüglich der Angebotskalkulation des B komme. Allein die Vorlage seiner eigenen Preiskalkulation reiche zur Substantiierung seiner Behauptungen jedenfalls nicht aus. Insbesondere könne - worauf bereits die Vergabekammer hingewiesen habe - allein aus der Tatsache, dass das Angebot des Bestbieters B offensichtlich preisgünstiger als das des A sei, nicht rückgeschlossen werden, dass der geringere Angebotspreis des B auf der Angabe eines Aufschlags von 0% oder der fehlenden Angabe eines Aufschlags für den Objektleiter in Ziff. 2.28 des LV beruhe.

Anmerkung:

In der Praxis ist es für einen Bieter regelmäßig nicht einfach, eine Rüge so zu formulieren, dass sie als Zulässigkeitsvoraussetzung für ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 3 GWB den Ansprüchen genügt – hat doch der Bieter oft einen nur eingeschränkten Einblick in das Verfahren und die Tatsachen, um hieraus eine Rechtsverletzung im Sinn von § 97 Abs. 6 GWB ableiten zu können.
Grundsätzlich gilt für eine ordnungsgemäße Rüge folgendes:
Die Rüge muss gegenüber dem Auftraggeber eindeutig sein und von diesem so verstanden werden, welcher Sachverhalt aus welchem Grund als Vergaberechtsverstoß angesehen wird, und der Bieter erwartet, dass der (vermeintliche) Verstoß vom Auftraggeber behoben bzw. korrigiert wird. Allein Vermutungen zu möglichen Vergaberechtsverstößen reichen dabei nicht aus. Es müssen zumindest Anhaltspunkte oder Indizien vorgetragen werden, aus denen sich der behauptete Vergaberechtsverstoß herleiten lässt.

  Quelle: Anwalt Werner


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