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Zur rechtzeitigen Abgabe eines elektronischen Angebots

22.02.2022

Die Vergabekammer (VK) Südbayern hat mit Beschluss vom 15.11.2021 – 3194.Z3-3_01-21-20 – folgendes entschieden:

1. Ein elektronisches Angebot ist rechtzeitig abgegeben, wenn es vor Ablauf der Abgabefrist vollständig hochgeladen und verschlüsselt ist. Der Bieter trägt insoweit das Transportrisiko. Er muss dem Auftraggeber das Angebot so nahebringen, dass es nur noch an ihm liegt, vom Angebot Kenntnis zu nehmen.
2. Auf die interne Abrufbarkeit der Angebotsdatei durch den Auftraggeber vor Ablauf der Angebotsfrist kommt es nicht an.
3. § 312i BGB ist bei einem elektronischen Vergabeverfahren nicht anwendbar.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Tiefbauleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. In der Bekanntmachung wurde der Schlusstermin für den elektronischen Angebotseingang auf den 11.03.2021, 10:00 Uhr bestimmt. Bieter A gab am 11.03.2021 ein Angebot ab, für das die Vergabeplattform den Eingang mit 10.00 und exakt drei Sekunden (10:00:03) verzeichnete. Der AG beurteilte das Angebot als verspätet. Bieter A rügte dies: Eine Verspätung läge erst vor, wenn das Angebot um 10:01 eingegangen sei. Außerdem habe er die späte Angebotsabgabe nicht zu vertreten. Frühere Versuche, das Angebot hochzuladen, seien gescheitert, da die Datei aufgrund der Größe von der Vergabeplattform zurückgewiesen worden sei. Die Vergabeunterlagen hätten aber keine Größenbeschränkung für die hochzuladenden Dateien enthalten. Der AG erkundigte sich darauf bei seiner externen Vergabeplattform, worauf ihm diese bestätigte, dass aus dem Zeitraum vor Angebotsschluss keine Probleme bekannt oder gemeldet worden seien, auch nicht von A. Ferner gäbe es auch keine Größenbeschränkung für Angebotsdateien. Darauf informierte der AG den A, dass sein Angebot wegen Verspätung ausgeschlossen werde. A stellte darauf Nachprüfungsantrag.
Die VK gibt hier Bieter A Recht. Das Angebot könne nicht gemäß § 16 EU Nr. 1 VOB/A ausgeschlossen werden. Im Nachprüfungsverfahren obliege es dem AG, darzulegen, dass das verspätete Hochladen des Angebotes auf einem Nutzungsfehler des Bieters und nicht auf einer Fehlfunktion der Vergabeplattform beruhe. Es sei davon auszugehen ist, dass der wohl um 09:59:35 Uhr stattgefundene dritte Versuch der Angebotsabgabe rechtzeitig beim AG eingegangen sei. Auf Grund der Darstellung des sachverständigen Zeugen X über den Ablauf der Angebotsabgabe müsse die VK davon ausgehen, dass der vollständige Upload und die Verschlüsselung des Angebots noch vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgt seien. Lediglich das notwendige Ablegen des verschlüsselten Angebots im Bereich des AG auf dem Vergabesystem wäre erst knapp drei Sekunden nach Ablauf der Angebotsfrist abgeschlossen gewesen. Diese Bereitstellung im Bereich des AG sei für eine Angebotseröffnung zwar notwendig, falle aber hinsichtlich eines rechtzeitigen Zugangs des Angebots nicht mehr in die Risikosphäre des A.
Der Schlusstermin für den Eingang der Angebote sei in der Auftragsbekanntmachung mit 11.02.2021 und 10:00 Uhr Ortszeit angegeben. Damit ende die Angebotsfrist "Schlag" bzw. "Punkt" 10 Uhr, d.h. um 10:00:00 Uhr, und nicht erst um 10:00:59 Uhr, d.h. mit Umspringen der Uhr auf 10:01(:00) Uhr. Dies ergebe sich entsprechend §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont der Bieter. Danach sei eine Fristangabe wie hier das Ende der Angebotsfrist ein bestimmter Zeitpunkt im Sinne eines Schlusspunktes oder Termins, dessen Eintritt vorliegend den rechtzeitigen Eingang vom verspäteten Eingang eines Angebots trenne. Dieser Zeitpunkt bedürfe daher einer genauen Bezeichnung, bis wann genau ein Angebotseingang noch rechtzeitig sei. Mit Bezeichnung dieses Zeitpunktes mit "10:00 Uhr" im vorliegenden Verfahren sei dies aus Sicht eines objektiven Betrachters nur so zu verstehen, dass die Angebotsfrist bei Erreichen der Uhrzeit von "Punkt" 10 Uhr ende. Für den maßgeblichen Zugangszeitpunkt des Angebots des A sei nicht auf die Abrufbarkeit der Angebotsdatei durch den AG abzustellen, sondern auf den vollständigen Upload der Angebotsdatei auf den Server der vom AG genutzten Vergabeplattform.
Auf § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB könne sich der AG nicht berufen, da die dort genannte Konstellation einer Bestellung im elektronischen Rechtsverkehr nicht mit der bei einer Angebotsabgabe im Vergaberecht vergleichbar sei. Ein Zugang eines Angebots nach § 130 BGB setze den Übergang des Angebots in den Machtbereich des Empfängers und dessen Möglichkeit voraus, unter normalen Umständen Kenntnis von dem Angebot erlangen zu können. Der Erklärungsempfänger trage damit die Gefahren seines Organisations- und Machtbereichs, also das Risiko, dass eine Erklärung an ihn nicht weitergeleitet werde, dagegen müsse der Erklärende neben den Risiken aus seiner Sphäre und den Transportrisiken sicherstellen, dass die Erklärung dem Empfänger so nahegebracht werde, dass es nur noch am Empfänger liege, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen.
Für den Zugang eines Angebots auf einer Vergabeplattform sei daher auf den Eingang im Organisations- und Verantwortungsbereich des Auftraggebers abzustellen. Damit erfolgte der Zugang der Angebotsdatei des A im vorliegenden Fall mit dem vollständigen Upload der Datei auf dem Server des Vergabeportals und dem Auslösen des Vorgangs "Angebot verschlüsseln und im jeweiligen Auftraggeberbereich auf dem Vergabeportal ablegen". Ab diesem Zeitpunkt habe der AG die Möglichkeit gehabt, dass die von ihm verwendete Plattform die notwendigen Schritte zur Bereitstellung des verschlüsselten Angebots im Bereich des AG ausführe. A habe auf diese Vorgänge keinerlei Einfluss mehr.

Anmerkung:

Erfahrungsgemäß gibt es mit der elektronischen Angebotsabgabe, die im Bereich oberhalb der Schwellenwerte (ab 01.01.2022 am Bau: 5,382 Mio. EUR) zwingend ist, immer wieder Probleme, insbesondere dann, wenn das Angebot – aus welchen Gründen auch immer – nicht rechtzeitig auf die Vergabeplattform des Auftraggebers hochgeladen werden kann. Vergaberechtlich kann es - auf den Punkt gebracht - folgendermaßen formuliert werden: Briefkasten bleibt letztlich Briefkasten, egal, ob dieser am Gebäude des AG hängt oder elektronisch ist. Sobald der Bieter sein Angebot dort „eingeworfen“ hat, ist es beim AG zugegangen.

  Quelle: RA Michael Werner


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