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Zuschlag erteilt vor Ablauf der mitgeteilten Frist: Vertrag unwirksam!

19.05.2023

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 23.02.2023 – VK 2-2/23 - u.a. folgendes entschieden:

1. Öffentliche Auftraggeber haben die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden, u. a. über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu informieren. Der Vertrag darf bei einem elektronisch geführten Vergabeverfahren frühestens 10 Tage nach Absendung der Information geschlossen werden.
2. Teilt der öffentliche Auftraggeber den Bietern ausdrücklich mit, dass er beabsichtigt, den Zuschlag an den Zuschlagsprätendenten an einem bestimmten Tag zu erteilen und wird der Zuschlag vor dem mitgeteilten Termin erteilt, wird die Wartefrist nicht eingehalten und der Vertrag ist von Anfang an unwirksam. Das gilt auch dann, wenn der mitgeteilte Termin über die gesetzlich gebotene Wartemindestfrist hinausgeht.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Rahmenvereinbarung über Reinigungsleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Bieter A und B gaben Angebote ab. Mit Schreiben vom 04. Januar 2023 informierte der AG gemäß § 134 GWB den Bieter A, dass er beabsichtige, den Zuschlag am 17. Januar 2023 auf das Angebot des Bieters B zu erteilen. Der Rüge des A, die sich u.a. auf Fehler der Wertung bezog, hatte der AG mit Schreiben vom 13. Januar 2023 nicht abgeholfen und erteilte schließlich dem Bieter B am 16. Januar 2023 den Zuschlag. Noch am selben Tag stellte A Antrag auf Nachprüfung.
Die VK gibt dem Bieter A Recht. Der Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags stehe hier der am 16. Januar 2023 erteilte Zuschlag an Bieter B nicht entgegen.
§ 168 Abs. 2 S. 1 GWB bestimme zwar, dass ein wirksam erteilter Zuschlag im Nachprüfungsverfahren nicht aufgehoben werden könne, so dass ein entsprechend später nach § 169 GWB an den öffentlichen Auftraggeber zugestellter Nachprüfungsantrag das dort geregelte Zuschlagsverbot nicht mehr auslösen könne. Die Regelung des § 168 Abs. 2 S. 1 GWB, wonach ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden könne, greife hier aber nicht ein, da der Zuschlag am 16. Januar 2023 nicht wirksam erteilt worden sei. Denn Voraussetzung für die Wirksamkeit des Zuschlags sei im Hinblick auf § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB, dass der öffentliche Auftraggeber nicht gegen § 134 GWB verstoßen habe. Ein öffentlicher Auftrag sei von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen die Maßgaben der sich aus § 134 GWB ergebenden Informations- und Wartepflicht verstoßen habe. So liege der Fall hier.

Nach § 134 Abs. 1 S. 1 GWB hätten öffentliche Auftraggeber die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden, u.a. über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu informieren. Der Vertrag dürfe nach § 134 Abs. 2 S. 2 GWB bei einem - wie hier - elektronisch geführten Vergabeverfahren frühestens zehn Tage nach Absendung der Information nach § 134 Abs. 1 GWB geschlossen werden. Der AG habe in seinem Schreiben nach § 134 GWB vom 04.Januar 2023 an A ausdrücklich mitgeteilt, dass er beabsichtige, den Zuschlag an B "am 17. Januar 2023" zu erteilen, was über die nach § 134 Abs. 2 S. 2 GWB gesetzlich gebotene Wartemindestfrist hinausgegangen sei. Denn diese wäre bereits mit Ende des Samstags, 14. Januar 2023, abgelaufen. Tatsächlich habe der AG den Zuschlag an B zwar erst nach Ablauf dieser gesetzlichen Mindestfrist erteilt, jedoch vor dem im Schreiben nach § 134 GWB mitgeteilten frühesten Termin, dem 17. Januar 2023. Damit sei der Zuschlag vor dem mitgeteilten Termin erteilt worden, die Wartefrist somit nicht eingehalten. Der am 16. Januar 2023 an B erteilte Auftrag sei damit nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam.
Dass der AG den Zuschlag nach § 134 Abs. 2 S. 2 GWB bereits am 15. Januar 2023 hätte erteilen können und davon ausgegangen sei, A habe auf seine anwaltliche Rüge hin keinen Nachprüfungsantrag gestellt, so dass er den Zuschlag auch vor Ablauf der Wartefrist erteilen könne, sei nach dem klaren Wortlaut des § 134 Abs. 1 S. 1 GWB unerheblich. Die in § 134 GWB geregelte Wartefrist diene dem Zweck, den primären Vergaberechtsschutz der Bieter zu gewährleisten. Dies hänge maßgeblich von dem vom Auftraggeber - wie hier - gemäß § 134 Abs. 2 S. 2 GWB mitgeteilten frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab, der dementsprechend vom Auftraggeber einzuhalten sei, und zwar auch dann, wenn im § 134 GWB - Schreiben eine längere Wartefrist als die gesetzlich vorgesehene Mindestfrist ausgewiesen werde. Dies gebiete auch der Vertrauensschutz, der bei den unterlegenen Bietern infolge der Datumsbenennung im § 134 GWB - Schreiben entstehe.
Die Frist sei hier unstreitig nicht abgewartet, sondern der Zuschlag bereits einen Tag vorher erteilt worden. Schließlich komme hinzu, dass der AG in seinem Nichtabhilfeschreiben an A vom 13. Januar 2023 ausdrücklich darauf hingewiesen habe, an "...der beabsichtigten Zuschlagserteilung gemäß meinem Schreiben vom 4. Januar 2023..." festzuhalten, so dass aus der für die Auslegung maßgeblichen Perspektive eines objektiven Empfängers erst recht nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass der AG den Zuschlag nicht mehr - wie im Schreiben vom 4. Januar 2023 mitgeteilt - "am 17. Januar 2023", sondern schon am 16. Januar 2023 erteilen würde.

Anmerkung:

Die ordnungsgemäße Einhaltung der Frist des § 134 Abs. 2 GWB ist vergaberechtlich von eminenter Bedeutung, d.h. ein Fehler hier kann ein noch so sorgfältiges Vergabeverfahren letztlich dennoch scheitern lassen. Dabei beginnt – wie übrigens auch sonst im Vergaberecht – die Frist stets am folgenden Tag nach der Absendung, hier der Vorinformation gemäß § 134 Abs. 1 GWB und endet dann – bei elektronischer oder Fax-Übermittlung – 10 Tage später, d.h. konkret kann der AG erst am 11. Tag den Zuschlag wirksam erteilen.
Wie die Entscheidung der VK Bund zeigt, ist dabei die Frist entscheidend, die der AG den Bietern im 134 GWB – Schreiben mitteilt, selbst wenn diese mitgeteilte Frist länger sein sollte als die in § 134 Abs. 2 GWB festgelegte.
Daher speziell bei Informationsschreiben gemäß § 134 GWB ganz besondere Vorsicht !

  Quelle: RA Werner


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