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Zur zulässigen Abgabe mehrerer Hauptangebote

11.01.2022

Die Vergabekammer (VK) Sachsen hat mit Beschluss vom 18.08.2021- 1/SVK/016-21 – folgendes entschieden:

1. Durch die Neuregelung des § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A 2019 ist die Abgabe von mehreren Hauptangeboten grundsätzlich zugelassen, auch wenn sie sich nur im Preis unterscheiden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass durch ein späteres Verhalten des Bieters Gründe gegeben sein können, die der Erteilung des Zuschlags auf eines seiner Hauptangebote entgegenstehen.

2. Die Abgabe (und Wertung) von mehreren sich nur im Preis unterscheidenden Hauptangeboten ist nicht grenzenlos möglich, sondern nur solange keine belastbaren Anhaltspunkte für missbräuchliches Bieterverhalten vorliegen.
3. Das selektive Bedienen der Nachforderungsaufforderung in Kenntnis des Wettbewerbsergebnisses für nur eines von mehreren sich lediglich im Preis unterscheidenden unvollständigen Hauptangebote, stellt ein unredliches Bieterverhalten dar, welches zum Ausschluss des selektiv vervollständigten Hauptangebots führt.


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RA Michael Werner Syndikusrechtsanwalt
DEGES GmbH, Berlin

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Leistungen des Garten-und Landschaftsbaus im Zusammenhang mit einer Baumaßnahme im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Bieter A gab darauf zwei Hauptangebote ab und lag mit diesen nach Submission auf Rang 1 (Angebotssumme 127.000 EUR) und Rang 2 (Angebotssumme 139.000 EUR). Die beiden Hauptangebote unterschieden sich lediglich im Preis. In dem auf Rang 1 liegenden Angebot ist im Gegensatz zu dem auf Platz 2 liegenden ein Preisnachlass von 5% enthalten sowie niedrigere Einheitspreise für einen Titel (2.1 Gehölze und Stauden). Ansonsten waren die Angebote identisch. Die Vergabeunterlagen sahen vor, dass mit Angebotsabgabe das Formblatt 221 (Preisermittlung) vorzulegen war. Da dieses in beiden Hauptangeboten fehlte, forderte der AG für beide Hauptangebote das fehlende FB 221 nach. Zudem forderte er A für beide Hauptangebote auf, das auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle einzureichende Formblatt 223 (Aufgliederung Einheitspreise) vorzulegen und bat um Angaben zu Ursprungsorten und Bezugsquellen. A reichte die geforderten Unterlagen und Angaben fristgerecht ein, dies jedoch ausdrücklich nur für das teurere Hauptangebot, welches sich auf Rang 2 befand. Auch die später geforderte Bindefristverlängerung beschränkte er ausdrücklich auf das teurere Hauptangebot. A wurde darauf mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf sein zweitplatziertes Hauptangebot zu erteilen; das auf Rang 1 liegende Hauptangebot (127.000 EUR) sei auszuschließen, da für dieses auch keine Verlängerung der Bindefrist erfolgt sei. Bieter B, dessen Angebot auf Rang 3 lag, rügte die Doppelangebote des A als unzulässig und stellte nach Nichtabhilfe der Rüge Antrag auf Nachprüfung.

Die VK gibt hier Bieter B Recht. Nach Auffassung der VK sei durch die Neuregelung des § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A die Abgabe von mehreren Hauptangeboten grundsätzlich zugelassen, auch wenn sie sich nur im Preis unterschieden. Im Gegensatz zur früher von der Rechtsprechung verlangten ausdrücklichen Zulassung durch den Auftraggeber müsse nunmehr der Auftraggeber ausdrücklich festlegen, dass er die Abgabe mehrerer Hauptangebote nicht zulasse. Dies stelle eine Umkehr zur bisherigen Rechtslage hinsichtlich des Erfordernisses der expliziten Zulassung dar.

Welche Anforderungen inhaltlicher Art an die unterschiedlichen Hauptangebote zu stellen seien, ergebe sich (unverständlicherweise) nicht ausdrücklich aus § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A. Es sei jedoch aus dem Wortlaut der Norm ersichtlich, dass der Normgeber im Zuge der Neuregelung darauf verzichtet habe, eine Einschränkung der grundsätzlichen Zulässigkeit der Abgabe mehrerer Hauptangebote hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Angebote vorzunehmen (z.B. nur Hauptangebote, die sich technisch unterscheiden), was für die grundsätzliche Möglichkeit der Abgabe mehrerer Hauptangebote, welche sich nur preislich unterschieden, spreche. Im Zuge der Neufassung seien in § 16 EU Nr. 6 und 8 VOB/A neue formelle Ausschlussgründe bei Abgabe mehrerer Hauptangebote eingeführt worden. Der Umstand, dass in diesen Regelungen auf einen Ausschlusstatbestand verzichtet wurde, der mehrere sich lediglich im Preis unterscheidende Hauptangebote generell sanktioniere, spreche ebenfalls dafür, dass von deren grundsätzlichen Zulässigkeit auszugehen sei.
Dies gelte aber nicht grenzenlos. Auch nach Auffassung des Normgebers sei die Abgabe mehrerer Hauptangebote nur zulässig „solange keine belastbaren Anhaltspunkte für missbräuchliches Bieterverhalten vorliegen“. Im vorliegenden Fall habe sich jedoch die von der Rechtsprechung (BGH v. 29.11.2016 –X ZR 122/14) früher aufgezeigte abstrakte Gefahr einer nachträglichen Manipulation des Wertungsergebnisses realisiert. Die VK sehe sich hier weder durch den BGH noch durch den neu gefassten § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A daran gehindert, das konkrete Verhalten des A als unredlich zu betrachten und deshalb dessen verbleibendes Hauptangebot auszuschließen. Denn A habe in Kenntnis des Submissionsergebnisses, um seinen Ertrag zu steigern, die Nachforderung für das billigere Hauptangebot bewusst nicht bedient. In diesem Verhalten und nicht bereits allein in der Abgabe der beiden sich lediglich im Preis unterscheidenden Hauptangebote liege das unredliche Verhalten, welches zum Ausschluss führe. Soweit dem vom AG entgegengehalten wurde, dass A nur die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten genutzt habe und in der selektiven Bedienung der Nachforderung keine belastbaren Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Bieterverhalten zu sehen sei, sehe die VK dies anders. Die VK habe keinen Zweifel, dass A sein niedrigeres Hauptangebot vervollständigt hätte, wenn ein anderer Bieter mit seinem Hauptangebot den Rang 2 erreicht hätte. Nur durch den Umstand, dass er mit seinen Hauptangeboten auf Rang 1 und 2 liege und ihm dies durch die Submission bekannt sei, könne er die Situation dergestalt unredlich ausnutzen, dass er im Ergebnis nur noch an sein teureres Angebot gebunden sei. Daher müsse auch dieses verbliebene (teurere) Hauptangebot des A ausgeschlossen werden.

Anmerkung:

Nach bisheriger Rechtsprechung, speziell der VK Sachsen, wurden mehrere Hauptangebote, die sich nur im Preis unterscheiden, bisher generell als unzulässig betrachtet. Durch die o.g. Entscheidung findet insofern ein Paradigmenwechsel statt, d.h. es ist nun grundsätzlich von deren Zulässigkeit auszugehen. Allerdings wird durchaus erkannt, dass mit der Abgabe mehrerer identischer, sich nur im Preis unterscheidenden Angebote die Gefahr der Manipulation steigt – insbesondere wie in dem hier gegebenen Fall, dass sich die Hauptangebote eines Bieters nach Submission auf Platz 1 und 2 befinden. Als Quintessenz ist daher festzuhalten: Die Abgabe mehrerer Hauptangebote darf nicht dazu führen, dass ein Bieter durch entsprechende „Tricksereien“ – so wie hier - letztlich den Wettbewerb verzerrt.

  Quelle:


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